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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bewundern, wie er die Kranken heilte, wie er predigte, wie seine Augen leuchteten und seine tiefe Stimme wie eine Glocke schwang …
    Erst gegen Morgen schlief sie ein.
    Die Kammerfrau weckte sie mit einem leichten Rütteln an der Schulter, auf dem Sessel lagen die neuen Kleider bereit. Die Wintersonne vergoldete den Park von Zarskoje Selo.
    »Wir sind schon spät dran, Nadja Grigorijewna«, sagte die Kammerfrau. »In einer halben Stunde frühstücken die kaiserlichen Hoheiten, und Sie sollen ihnen ab heute Gesellschaft leisten.«
    Nadja richtete sich im Bett auf. Man duzte sie nicht mehr … die Kammerfrau sprach zu ihr wie zu einer Dame. Ein anderes Leben hatte begonnen.
    Das Leben am Hof des Zaren schirmte Nadja von allem ab, was draußen im Alltag geschah. Sie fuhr mit den Großfürstinnen nach Jalta zur Erholung, nach Belowega und Spala zur Jagd, nach Kronstadt und auch nach Moskau, der herrlichen Stadt, die Zar Nikolaus II. merkwürdigerweise nicht liebte und kaum besuchte. Meistens aber war sie in Zarskoje Selo, dem Sommerschloß, zwanzig Werst von Petersburg entfernt, oder in dem großen Winterpalast an der Newa, der so viel Zimmer hatte, daß sich Nadja dreimal verlief. Auch im Haus der Anna Wyrobowa, der ersten Hofdame der Zarin, an der Ecke der Sredniaja und Tserkownaja, wohnte sie öfter. Mit der Wyrobowa verband sie eine echte Freundschaft. »Dein Vater ist ein Heiliger«, sagte Anna Wyrobowa immer, wenn Rasputin sie oder die Zarin besucht hatte, mit ihnen Tee getrunken und fröhliche Geschichten erzählt hatte. »Dein Vater ist der größte Mensch, den Rußland je geboren hat! Was wären wir alle ohne Väterchen Grigori …«
    Das andere erfuhr Nadja nie, sondern las es erst viel später, ohne es glauben zu können: die Berichte der Ochrana, der Geheimpolizei, über die Orgien Rasputins in seiner Wohnung und in der Dependance der Villa Rode, einem Schlemmerlokal in Petersburg, wo Zigeunerkapellen spielten und Rasputin Unmengen von Fisch, Madeirawein, Portwein und Kuchen zu sich nahm, zu den Klängen der Zigeunerkapelle tanzte und Männern, die ihm schmeichelten, Empfehlungsschreiben an den Zar mitgab. Man erzählte von Vergewaltigungen an Hofdamen und Bittsucherinnen, sogar die gute Wischniakowa sollte er belästigt haben. Eine Woge von Schmutz spülte über Rasputin hinweg, von den Kanzeln und in den Klöstern predigte man Haß gegen ihn, die Politiker wünschten ihn tot, und der Adel am Hof ekelte sich vor ihm.
    Das alles ging nur bis zur Tür der Zimmerflucht, vor der die Neger Apty und Jim wachten. Nadja erfuhr nichts davon … für sie war Rasputin das geliebte, zärtliche Väterchen, das sie erziehen ließ wie eine Prinzessin.
    So verflogen die Jahre zwischen Zarskoje Selo und Petersburg. Nadja lernte ein vorzügliches Russisch bei dem Hauslehrer Pjotr Wassiljewitsch Petrow, sie konnte Klavier spielen und schön singen, was ihr der Musiklehrer Conrad beibrachte, sie sprach fließend Englisch, zur großen Freude des neuen Englischlehrers Professor Charles Gibbs. Sie spielte mit Jimmy, dem Hund Anastasias, und lief neben dem Fahrrad her, wenn der Zarewitsch unter Aufsicht eines riesigen Matrosen im Park fahren durfte.
    Und sie wurde, schneller als die Großfürstinnen, eine junge Dame.
    Als sie vierzehn Jahre war, hatte sie runde, feste Brüste und gutgepolsterte Hüften, sie war groß und schlank, ihr Haar schimmerte in der Sonne bronzefarben, und die Beine, die unter den langen Röcken nur zu ahnen waren, kamen ihr lang und wunderschön schlank vor.
    Mit fünfzehn Jahren sah sie voll Stolz, wie die Lakaien und die Offiziere der Wache und der Garde ihr nachblickten; dann bewegte sie die Hüften beim Gehen und hatte einen großen Spaß, wenn selbst verheiratete ältere Offiziere glänzende Augen und rote Wangen bekamen.
    »Du bist schön!« sagte Rasputin einmal bei einem Besuch im Haus der Wyrobowa und zog Nadja an sich. »Bei Gott, du wirst schöner, als es deine Mutter war! Das ist gefährlich, mein Engelchen! Mißtraue allen Männern, die dich umschmeicheln, weise sie ab, wenn sie schöne Worte reden.« Er sah Nadja tief in die Augen, ein Blick, der sie zerschnitt wie mit einem brennenden Messer. »Bist du schon verliebt, mein Seelchen?«
    »Nein, Väterchen!« Nadja lächelte. »Ich liebe nur dich …«
    »Wenn du dich in einen Mann verliebst, rufe mich, mein Engel.« Rasputin ließ die Hände sinken und legte sie über seinen langen Bart. »Ich muß ihn sehen, hörst du, ich muß mit ihm

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