Die Tochter des Teufels
Petersburger Oper. Der Zar, in einer engen blauen Jacke mit dem roten Doppeladler auf der Brust und schwarzen Hosen mit roten Streifen, saß neben der Zarin auf einem kleinen Podium und überblickte den Saal. Die Zarin wirkte zerbrechlich und müde, das prunkvolle Kleid schien ihr zu schwer zu sein, ebenso das funkelnde Diadem auf den Locken. Ein wenig starr saß sie auf dem goldenen Stuhl und sah dem Ballett zu.
Nadja atmete tief auf. Sie sah sich um, die Wyrobowa war zu den Großfürstinnen geeilt, das Ballett tanzte durch einen Ausgang davon, das Orchester begann einen Walzer zu spielen, in die festliche Menschengruppe kam Bewegung.
»Das kommende Jahr wird mein schönstes sein!« sagte in diesem Augenblick eine tiefe Stimme hinter ihr. Nadja fuhr herum. Sie spürte, wie helle Röte in ihr Gesicht stieg, wie das Herz aussetzte und dann weiterschlug … seliger, tiefer, schwerer.
»Nikolai Georgijewitsch …«, sagte sie, und sie hatte Mühe, normal zu sprechen und nicht zu stottern.
»Sie erkennen mich wieder?« Gurjew beugte sich über Nadjas Hand und küßte sie. »Ich habe Sie gesucht, Nadja Grigorijewna. Ein ganzes Jahr lang … dann habe ich resigniert. Es war nicht möglich, Ihnen in den Palast eine Nachricht zu geben. Aber ich hoffte auf diesen Abend, ich hoffte mit ganzer Seele … und nun ist es in Erfüllung gegangen.«
Nadja nickte stumm. Die Seligkeit, die sie durchrann, kannte keine Worte. Sie sah Gurjew an, und alles, was sie in ihr Herz eingeschlossen hatte, brach hervor wie eine Sturmflut.
»Ihren Fächer, Nadja Grigorijewna«, sagte Gurjew, nahm ihn aus ihrer schlaffen Hand, entfaltete ihn, nahm einen Bleistift aus dem Rock und schrieb quer über alle Felder: Nikolai. Dann gab er ihn zurück und lächelte. »Ich gehöre Ihnen, Nadja. Befehlen Sie über mich! Mein Kommandeur hat mich für diese Nacht beurlaubt. Ich gehorche nur noch der schönsten Frau von Petersburg …«
»Dann tanzen wir!« sagte Nadja leise.
Wie zwei Federn schwebten sie über das Parkett, man sah kaum, daß ihre Füße den Boden berührten. Es war der seligste Walzer, der je in diesem Saal getanzt worden war, und alle, die ihnen zusahen, erkannten das, traten zurück und machten die Mitte frei für Nadja und den Gardehauptmann Gurjew. Sie tanzten auch noch, als das Orchester schwieg, denn sie hörten gar nicht die Musik, weil ihre Herzen schöner und seliger sangen.
Erst als die anderen Gäste klatschten, erwachten sie aus ihrem Traum, standen verlegen inmitten des glänzenden Kreises und gingen dann zur Seite.
In einem Nebenraum, wo sich Nadja nach vielen Tänzen etwas ausruhen wollte, waren sie allein. Gurjew hatte zwei Kelche Sekt mitgebracht, und sie trank zwei Schlucke wie eine Verdurstende. Dann sahen sie sich an, und was sie nicht aussprachen, lag in ihren Augen.
Sie zuckten zusammen, als im Saal ein lautes Hoch ausgebracht wurde. Das Orchester spielte die Zarenhymne, durch die Fenster drang das Geläut zahlloser Glocken. Böllerschüsse zerrissen die Nacht.
»Mitternacht!« sagte Gurjew leise. »Das Jahr 1914 beginnt. Es möge uns alle glücklich machen …«
Dann stellte er sein Glas zur Seite, nahm das andere aus Nadjas Händen, umarmte sie, zog sie an sich und küßte sie auf den zitternden, kalten, sektfeuchten Mund. Ihr erster Kuß war es, und sie schlang die Arme um seinen Nacken und hielt ihn fest und wartete darauf, ob sie vor Glück sterben würde.
»Ich liebe dich, Nadja …«, sagte Gurjew, als sie sich nach langer Zeit voneinander lösten.
»Ich liebe dich auch, Nikolai …«
»Wir werden glücklich sein …«
»Unendlich glücklich …«
Sie küßten sich immer und immer wieder, während im Saal der Ball ins neue Jahr weiterging mit einer großen Polonäse.
»Ich werde es Papa schreiben«, sagte Nadja, als sie zurück zu den Tanzenden gingen. »Ich habe es ihm versprechen müssen. Und ich weiß, daß Väterchen dich auch so lieben wird wie ich. Er wird uns segnen, und wir werden glücklich sein …«
»Ich werde selbst mit deinem Vater sprechen.« Gurjew legte den Arm um Nadja, als sie den Saal betraten. Jeder sollte sehen, daß sie von nun an zusammengehörten. »Wo kann ich ihn sehen?«
»Er wird im Frühjahr nach Petersburg kommen.« Nadjas Gesicht glänzte vor Glück. »Du wirst ihn wunderbar finden, Nikolai.«
»Bestimmt. Wer ist dein Vater?«
»Rasputin …«
Nadja winkte der Wyrobowa zu. Sie war ausgelassen vor Freude, sie hätte laut jubeln können.
So sah sie nicht, wie
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