Die Tochter des Teufels
Seligkeit durch Nadjas Herz. Eine schöne, tiefe Stimme war es, eine Stimme voller Melodie. Eine Stimme, fast wie Väterchen Grigori … »Sind Sie belästigt worden?«
»Eine Hure ist sie!« schrie der blutende Tichon und drückte ein seidenes Taschentuch gegen seine Nase. »Hundert Rubel nimmt sie sonst, und jetzt will sie dreihundert! Der Faustschlag aber wird Sie teurer zu stehen kommen!«
»Ich bin Nadja Grigorijewna Woronzowa«, sagte Nadja schwach. Jetzt, im Schutz des unbekannten Offiziers, verließ sie alle Kraft. Sie hätte weinen können wie ein Kind. »Ich bin eine Freundin der Großfürstinnen. Meine Kutsche wartet am Winterpalais. Bitte bringen Sie mich dorthin, Herr Offizier …«
Die beiden vornehmen Herren Tichon und Janis waren davongerannt. Sie kamen in Begleitung eines Polizisten wieder, als Nadja sich bei dem Offizier einhakte und zurück zum Winterpalais gehen wollte.
»Da sind sie!« schrie Janis. »Eingehakt! Vielleicht hat der Herr Offizier vierhundert Rubel geboten!«
Der Offizier blieb stehen und ließ den Polizisten herankommen. Man sah dem Beamten an, wie peinlich es ihm war, einen Offizier zu verhören.
»Es liegt eine Anzeige vor«, sagte der Polizist heiser. »Euer Hochwohlgeboren sollen zwei Passanten mißhandelt haben.«
»Ich habe zwei Flegel gezüchtigt, weiter nichts!« Der Offizier sah auf Janis und Tichon. »Und ich schlage sie noch einmal zu Boden, wenn sie es wünschen!«
Der Polizist atmete schwer. »Euer Hochwohlgeboren … es handelt sich bei den Herren um den Grafen Janis Jegorowitsch Kolosichin und um den Fürsten Tichon Michailowitsch Schamanskij.«
»Und ich bin der Gardehauptmann seiner Majestät des Zaren, Nikolai Georgijewitsch Gurjew.« Er legte den Arm um die Schulter Nadjas, und sie kam sich unendlich geborgen und glücklich vor. »Kommen Sie, Gnädigste, ich bringe Sie sicher nach Zarskoje Selo. Ich werde neben Ihrer Kutsche herreiten.«
So lernte Nadja ihn kennen, den Gardehauptmann Gurjew.
Am Abend schrieb sie in ihr heimliches Tagebuch: »Ich bin verliebt … ich bin verliebt … Nikolai Gurjew heißt er … Wie unendlich selig ist das Gefühl im Herzen … ich liebe …«
Silvester stand auf dem Kalender. Silvester 1913.
Für Nadja Grigorijewna bedeutete das ihren ersten Hofball. Sie war nun sechzehn Jahre alt, eine gebildete, hochgewachsene junge Dame von bewundernswerter Schönheit.
Sie sprach Französisch und Englisch, musizierte mit den Zarentöchtern vierhändig am Klavier und konnte nach Aussage des Tanzlehrers Fourège tanzen wie eine Schwanenfeder.
Der Hofschneider entwarf für sie zum ersten Hofball ein Kleid aus Seide und Spitze, Brokat und Florentiner Tüll, bestickt mit Rosen und mattleuchtenden Perlen. Als Nadja es anprobierte, im Haus der Wyrobowa, umarmte die Hofdame sie und weinte vor Freude. »Du bist das schönste Mädchen der Welt!« rief sie enthusiastisch. »Wie könnte es anders sein als Tochter von Vater Grigori!«
Rasputin war in diesem Winter nicht in Petersburg. Er lebte in Pokrowskoje bei seiner Familie, verbittert über die Feindschaft, die ihm überall entgegenschlug. Zwar schrieben ihm die Zarin, die Zarentöchter, die Wyrobowa glühende Briefe der Treue, aber in seinem Herzen nagte die Trauer, daß eine Welt so undankbar sein konnte.
So kam die Silvesternacht.
Nadja wurde von ihrer Kammerfrau angekleidet. Eine Friseuse aus Paris kämmte und flocht ihr die Haare, schminkte sie und zauberte die letzte Vollkommenheit in ihr Gesicht. Und dann war der große Augenblick gekommen … wie eine Königin stand sie im Zimmer, mit großen, glänzenden Augen, und die Wyrobowa überreichte ihr den ersten Ballfächer. Der Griff war aus Elfenbein und die einzelnen Fächer aus japanischem Reispapier. »Es wird der erste Fächer sein, der voll von Tanzanmeldungen sein wird«, sagte die Wyrobowa. »Du wirst dich nicht retten können vor Tänzern.«
Der Glanz des Ballsaales, den sie dann betraten, blendete Nadjas Augen. Aus riesigen Kristalleuchtern flammten die Kerzen über die goldenen, bemalten Wände, das Mosaikparkett spiegelte, eine Woge von Uniformen und Fräcken, rauschenden Kleidern und Pelzen umgab sie, Orden blitzten, Brillantenkolliers funkelten. In einer Ecke des großen Saales spielte das Orchester in tscherkessischen Uniformen, die Großfürstinnen standen mit vielen Adeligen an einem langen weißgedeckten Büfett. In der Mitte des spiegelnden Parketts, unter den kristallenen Kronen, tanzte das Ballett der
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