Die Tochter des Teufels
willst.«
Nikolai Gurjew ließ sein Gewehr sinken. Sein Gesicht wirkte eingefallen und blutleer.
»Sie suchen uns. Nicht zufällig sind sie hier … sie suchen uns. Nadjuscha …« Gurjew wandte sich um. Die Pistolen nahm er ihr aus den Händen, steckte die eine in seine Hosentasche und umklammerte die andere. »Wir werden nicht Tanzlehrer sein und keine feinen Damen das Reiten lehren. Wir sind am Ende unserer Reise.«
Nadja nickte. Sie lehnte sich an einen Baumstamm, hob den Kopf empor und schloß die Augen.
»Schieß, Niki …«, sagte sie ganz ruhig. »Ich liebe dich … das ist mein letztes Wort … ich liebe dich …«
Der kleine Burjäte wartete noch immer.
»Ergib dich, Brüderchen«, rief er noch einmal. »Was soll das Zögern?«
»Ich kann es nicht«, stammelte Gurjew. Die Pistole fiel aus seiner Hand. »Nadja, wie könnte ich dich erschießen …« Er griff in die Tasche, holte die andere Pistole heraus und hielt sie Nadja hin. »Um mich geht es nur. Denk an das Kind. Eine Mutter ist wichtiger als der Vater. Ich flehe dich an, Nadjuscha … mach ein Ende mit mir! Ich bin zu nichts mehr nütze auf der Welt!«
Nadja Gurjewa nahm die Pistole, aber sie richtete sie nicht auf Nikolai, sondern warf sie in einem hohen Bogen in den Wald. Dann trat sie aus dem Versteck hervor und ging dem Burjäten drei Schritte entgegen.
»Was willst du?« fragte sie hart.
Der kleine gelbe Reiter lachte breit. Die Schlitzaugen verschwanden völlig in seinem faltigen Gesicht. Er winkte, und die anderen ritten heran. Einen Halbkreis bildeten sie und betrachteten vergnügt die Frau, die stolz vor ihnen stand und sie ohne Angst musterte.
»Wir bringen dich nach Irkutsk, mein Vögelchen«, sagte der erste Burjäte freundlich. »Ein goldenes Täubchen bist du für uns! Wo ist dein Mann?«
»Hier.« Gurjew trat hinter einem dicken Stamm hervor.
Die Burjäten auf ihren Pferdchen strafften sich.
»Hast du Waffen?« rief der Wortführer.
Nikolai Gurjew nickte mit dem Kopf nach hinten. »Sie liegen auf dem Boden. Warum sucht ihr mich? Wer hat euch beauftragt? Niemand hat ein Interesse daran, mich zu sehen.«
»Nimm die Hände hoch!« sagte der Burjäte höflich. »Ganz hoch, Brüderchen, wie's sich für einen Gefangenen gehört.«
Nikolai Gurjew stand aufrecht vor den Reitern. Sein bleiches Gesicht zeigte wilde Entschlossenheit.
»Ich bin Offizier«, sagte er laut. »Ein Offizier hebt die Hände nicht empor! Ich gehe mit, aber nicht mit erhobenen Armen …«
Die Burjäten flüsterten miteinander. Dann ritten drei von ihnen zu Gurjew, warfen ihm eine Schlinge um die Brust, zogen sie an und preßten seine Arme an den Leib. Ein anderer ritt zu Nadja, befestigte einen Strick um ihr rechtes Handgelenk und lachte ihr fröhlich ins Gesicht.
»Fertig?« rief der Wortführer. »Dann los!«
Während zehn Burjäten bei Nikolais Panjewagen und den Pferden blieben, ritten die anderen langsam davon. An ihren langen Stricken liefen Nadja und Nikolai ihnen nach … sie mußten schnell laufen, um nicht an den Seilen hinterhergeschleift zu werden.
Keuchend rannten sie nebeneinander durch den Wald. Ihre Beine wurden gefühllos, ihr Blick trübte sich, aber die Stricke, an den Sätteln befestigt, kannten keine Gnade … weiter … weiter …
Gurjew riß den Mund auf. Er sah Nadja neben sich stolpern, aber sie fing sich wieder und rannte weiter, vorwärts gerissen von dem Strick.
»Nadja …«, keuchte er. Und dann brüllte er, wie ein Bär, den eine Lanze in der Brust trifft. »Stoj! Stoj! Habt Erbarmen! Ich flehe euch an!«
Die Burjäten ritten langsamer. Nadja schwankte zu Gurjew und sank gegen ihn. Aber er konnte sie nicht umfassen, die Schlinge machte ihn bewegungsunfähig.
»Ihr Schweine!« schrie Gurjew. »O ihr Schweine! Tötet uns doch.«
Er umklammerte Nadja mit dem letzten, was er bewegen konnte, mit seinen Beinen, ließ sich mit ihr fallen und rollte sich in den Staub. Ein paar Meter schleiften sie über den Waldboden, dann lagen sie still, Gurjew zuunterst, Nadja auf ihm wie auf einem flachen Schlitten.
Die Burjäten ritten zurück und betrachteten die beiden schmutzüberzogenen, verschlungenen, regungslosen Körper.
Der Wortführer nickte, sah sich um und winkte. Es war ein guter Platz. Bis zur Nacht war es nicht mehr weit.
Neben den ohnmächtigen Körpern, die sie übereinander liegen ließen, schlugen sie ihre große Jurte auf, trugen Holz heran und zündeten ihr Lagerfeuer an.
Der Geruch von saurer Stutenmilch und
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