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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geschehen? Wie kommt sie zu dieser Ehre? Ein ekelhaftes Gefühl von Eifersucht und Mißtrauen umklammerte sein Herz.
    General Ryschikow nahm die Meldung Hauptmann Birjukows entgegen, grüßte die Soldaten und – man sollte es nicht glauben – auch die Sträflinge, stellte sich dann in die Mitte des Vierecks und winkte den Schlitten zu sich heran.
    »Soldaten! Kameraden! Meine Herren!« Die Stimme des alten Ryschikow war hell und klar wie in seiner besten Zeit als Kommandeur des II. kaiserlichen Husarenregiments. Die Sträflinge sahen sich aus den Augenwinkeln an. Meine Herren, damit waren sie gemeint. Drehte sich die Erde anders herum?
    »Ich habe eine Ehrenpflicht zu erfüllen, und deshalb sind wir heute zusammengekommen.« Er gab Hauptmann Birjukow einen Wink – der riß den Säbel wieder hoch.
    »Stillgestanden!« schrie Birjukow. »Achtung! Präsentiert das Gewehr!«
    General Ryschikow blickte über die Köpfe der Gefangenen hinweg. »Nikolai Georgijewitsch Gurjew!« rief er. »Vortreten.«
    »Hier!«
    Gurjew drängte sich nach vorn. Mit langsamen Schritten kam er näher und blieb vor Ryschikow und dem Schlitten mit der Kiste stehen. Der General sah ihn streng an … mit der rechten Hand strich er sich über den grauen Schnurrbart. Eine Ordonnanz der Husaren öffnete den Kistendeckel. Noch konnte keiner sehen, was die Kiste enthielt. Mit einem Gefühl des Erstaunens nahm Gurjew militärische Haltung an.
    »Nikolai Gurjew zur Stelle!« sagte er laut.
    Ryschikow nickte. »Im Namen der Regierung von Sibirien habe ich folgendes zu erklären –«, rief er über den weiten Platz. Er sah über Gurjews Pelzmütze hinweg, denn er überragte ihn noch um Haupteslänge. »Die Verurteilung Nikolai Gurjews erfolgte durch einen Irrtum! Das Urteil wird hiermit aufgehoben.«
    Ryschikow blickte zu Gurjew hinunter. In dessen Gesicht zeigte sich keinerlei Regung … es war erstarrt, wie versteinert in der Unbegreiflichkeit.
    »Ich habe die Ehre, Nikolai Georgijewitsch«, sagte Ryschikow mit bewegter Stimme, »Sie wieder in die Armee aufzunehmen. Ich ernenne Sie erneut zum Gardehauptmann, gebe Ihnen alle Ehre zurück und freue mich, Sie mit eigener Hand vor allen Menschen zu rehabilitieren.«
    Ryschikow griff in die Kiste auf dem Schlitten. Er zog einen neuen Uniformrock hervor. Die breiten Schulterstücke glänzten in der Sonne. Wie ein Schneider bei der Anprobe hielt Ryschikow den offenen Rock Gurjew hin.
    »Ziehen Sie sich bitte um, Nikolai Georgijewitsch …«
    Wie eine mechanisch betriebene Puppe handelte Gurjew. Er knöpfte seine dicke Steppjacke auf, schob sie über die Schultern und ließ sie in den Schnee fallen. Dann drehte er sich um, und General Ryschikow half ihm in den Uniformrock. Mit zitternden Fingern knöpfte Gurjew den Rock zu. Dabei sah er zu seinen Sträflingskameraden und bemerkte mit einem Würgen in der Kehle, daß viele von ihnen weinten.
    Mit einem Ruck drehte er sich zu Ryschikow um. Der General hatte ein Koppel in der Hand. Pistole und Pistolentasche hingen an dem Ledergurt … in der anderen Hand hielt Ryschikow den symbolischen Offiziersdegen.
    Wortlos trat der General vor und schnallte eigenhändig das Koppel um Gurjews Leib. Dann hob er den Degen und hielt ihn Gurjew hin.
    »Hauptmann Gurjew …«, sagte Ryschikow ergriffen. »Für die Freiheit Rußlands und die Wiedergeburt des Zaren – Hurra! Hurra! Hurra!«
    Nikolai schwieg. Er preßte den Degen gegen die Brust, sein Gesicht zuckte. Ein erschütterndes Bild war es … bis zu den Hüften ein Gardeoffizier … aber von da ab noch ein Sträfling, in geflickten, ausgelaugten Stepphosen und in plumpen Stiefeln, deren Absätze mit gezacktem Blech beschlagen waren, damit man sich in das Eis krallen konnte.
    Ein zweigeteilter Mensch, mitten durchgeschnitten … Ein Symbol Rußlands?
    General Ryschikow sah in den zerstampften Schnee. Er ahnte, was jetzt in Gurjew vorging. Man brauchte ihm nicht zu sagen, wie ungeheuerlich diese Szene war, mit der man monatelange Leiden wegwischte und so tat, als sei nichts geschehen.
    »Ihre Gattin wartet in meinem Wagen«, sagte er leise zu Gurjew. »Sie hat Ihnen ein Festmahl bereitet. Die Offiziere der Garnison Tschita werden die Ehre haben, Ihre Gäste zu sein.«
    Nikolai Gurjew drehte sich um und ging. Den Degen noch immer gegen die Brust gepreßt, kam er an die Kalesche und sah auf das Häuflein Pelz. Das schmale Gesicht Nadjas starrte ihm aus einem Urwald von Fellhaaren entgegen.
    »Mein Gott … Nadjuscha …

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