Die Tochter des Tuchhandlers
zuerst nach der Leiche sehen.
Der sicario griff mit harter Hand nach der knochigen Schulter des Jungen. »Besser, du siehst nie einen, denn dann kann es schnell passieren, dass du der Nächste bist. Jetzt lauf, Bürschchen!«
In den Augen des sicario lag das Wissen um jede Facette des Todes, und der Junge rannte davon, als wären die Hunde hinter ihm her. Der sicario sah sich kurz um, klopfte notdürftig die schlammigen Stiefel ab und machte sich auf den Weg zur Porta San Pietro, wo er sein Pferd stehen hatte. Er hätte den dummen Mari nicht allein gehen lassen sollen, aber er hatte keine Wahl gehabt. Um diesen da Sesto und seinen Freund verfolgen zu können, hatte er Mari auÃer Acht lassen müssen. Sie hatten genau das getan, was er von ihnen erwartet hatte, und waren direkt zu ihrem Auftraggeber gerannt. Der sicario lachte leise vor sich hin. Sie waren sehr einfältig, wenn sie dachten, dass sie mit ihr spielen konnten. Die Marchesa hatte alles sehr klug eingefädelt, so klug, dass selbst Flamini gedacht hatte, er hätte es mit einem Mann zu tun. Die Mächtigen gewannen immer, selbst wenn es aussah, als ob sie verlören. Nun, Flamini und Seine Heiligkeit würden zufrieden mit ihm sein und ihm sein Wissen teuer bezahlen. Alberto Mari hatte sich um seine Pfründe gebracht, weil er ein weichherziger Trottel gewesen war. Aber der Gelehrte hatte gewusst, was er tat, und deshalb war Mari ein Platz im Paradies sicher, und ihm würden sich in der Stunde seines Todes die Tore zur Hölle öffnen. Der sicario legte den Kopf in den Nacken und lachte den Himmel aus. Die Hölle gab es nur für die, die daran glaubten, und wer konnte beweisen, dass er nicht schon in der Hölle lebte?
Â
Am Nachmittag desselben Tages stand der giudice Luparini mit zwei Bütteln im Hof der Buornardis. Beatrice hatte die Stimmen gehört und war sofort heruntergekommen. Nach Maris überraschendem nächtlichem Besuch war sie zwar wieder zu Bett gegangen, hatte jedoch kein Auge zugemacht. Federico sah ebenfalls übernächtigt aus, er schien auch seine Kleidung nicht gewechselt zu haben. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er vor dem Richter.
Während ihrer nächtlichen Grübeleien war Beatrice auf ein schwerwiegendes Problem gestoÃen. Sie wusste nicht, wie sie dem GroÃen Rat von der Verschwörung Nachricht geben sollte, ohne ihren Mann zu belasten, denn ihr war klar geworden, dass Federico, welche Rolle auch immer er dabei spielte, von da Sesto und Menobbi beschuldigt werden würde, sollte es zur vorzeitigen Aufdeckung des Komplotts kommen. Ein weiteres Problem war, dass sie nicht alle Verschwörer kannte. Alberto hatte zwar Namen genannt, doch auch er konnte nicht genau wissen, wer alles dazugehörte. Wenn sie sich erst einmal dem Falschen offenbarte, war ihr Leben keinen Scudo mehr wert.
Ein Ostwind hatte Kälte und Wolken von den Bergen herübergeweht. Möglicherweise gab es bald Schnee. Sie zog ihren Umhang enger um sich und trat den Männern mit einem freundlichen Lächeln entgegen. Anders als bei ihrer ersten Begegnung hätte sie heute nur zu gern allein mit dem giudice gesprochen, doch die drohenden Blicke ihres Mannes belehrten sie eines Besseren.
»Guten Morgen, Madonna«, begrüÃte der Richter sie höflich. »Es wird Euch sicher interessieren, was ich zu sagen habe, denn das Opfer war ein Freund Eurer seligen Familie.« Luparini neigte den Kopf im Andenken an ihre verstorbenen Eltern.
»Heute früh wurde eine Leiche im Kanal in der Via del Fosso gefunden. Ein Färberjunge hat den Unglücklichen entdeckt. Es handelt sich um den päpstlichen Sekretär, der schon einmal verschwunden war. Ihr erinnert Euch, Signore?«
Federico nickte ungeduldig. »Natürlich. Ihr wart hier und habt uns befragt. Mein Bruder war damals ebenfalls anwesend.«
»Nun, es scheint so, dass der Mann eines natürlichen Todes gestorben ist, jedenfalls weist er keinerlei Verletzungen auf.« Giudice Luparini sah von einem zum anderen, und Beatrice wollte gerade etwas sagen, als Federico fragte: »Wollt Ihr damit sagen, dass Mari nachts in den Kanal gefallen und ertrunken ist?«
»Er ist nicht ertrunken. Jedenfalls sieht es nicht danach aus. Er war nicht mehr jung und mag nach einer durchzechten Nacht vom Weg abgekommen sein, und dort unten war es kalt und nass. Vielleicht ist sein Herz schwach gewesen, oder der
Weitere Kostenlose Bücher