Die Tochter des Tuchhandlers
Schritte zurück. »Nein! Meine Herrin ist eine Freundin der Marchesa und hat gesagt, dass sie mich sicher empfangen wird!«
»Wer ist denn deine Herrin, mein Mädchen?«, quäkte der Zwerg und entblöÃte dabei verfaulte gelbe Zähne.
»Madonna Beatrice Buornardi.«
Der Livrierte verzog den Mund. »Der Kaufmann, und bankrott, wie man sich erzählt.«
»Bankrott, bankrott â¦Â«, wiederholte der Zwerg und hüpfte dabei hin und her, dass sein kleiner Bauch wackelte. »Vielleicht hat sie die Pocken? Pocken, Pocken â¦Â«
»Du garstiger kleiner Wicht! Ich kann die Blattern nicht bekommen, weil ich sie schon hatte! Du etwa auch? Wenn nicht, solltest du dich vorsehen, du Kröte!« Wütend stampfte Alba mit dem Fuà auf und sah sich um.
Ein hochgewachsener Mann in eleganter Kleidung ging mit einem Buch und einer Dokumentenmappe unter dem Arm durch die Halle. Alba achtete nicht auf die Protestrufe der Diener, sondern rannte hinüber und hielt den überraschten Sekretär des Marchese an. »Signore, bitte, helft mir! Madonna Buornardi schickt mich mit einer persönlichen Botschaft zur Marchesa. Es ist dringend, und ich kann nicht lange bleiben, sonst lässt mich der maestro di casa auspeitschen. Bitte!«, flehte sie.
Averardo trommelte mit seinen schlanken Fingern auf dem Buch und schien zu überlegen. Seine schön geschwungenen Brauen zogen sich zusammen, und Alba staunte über die gepflegten Locken des Mannes, die seidig glänzten. »Bist du gesund?«
Sie nickte. »Ich hatte schon die Kuhpocken.«
»Welch ein Glück für dich. Komm mit.« Er führte sie über eine breite Treppe in den ersten Stock.
Alba war sprachlos angesichts der marmornen Statuen von seltsamen Phantasiegestalten und schönen Frauen und Männern und der Farbenpracht riesiger Vasen mit fremdartigen Zeichen und der Ãlgemälde. Sie folgte dem Sekretär in einen mit blauen Stoffen ausgekleideten Raum, in dem eine Sitzgruppe und ein kleiner Schreibtisch standen. Averardo zeigte auf einen Stuhl. »Setz dich und warte, bis ich zurück bin.«
Er ging durch eine halboffene Zwischentür in den Nebenraum. Neugierig folgte Alba ihm und spähte durch den Türspalt, doch Averardo sprach nicht mit der Marchesa, sondern mit dem Marchese Connucci. »Frag sie, was sie bei meiner Frau will.«
Als Averardo zurückkam, saà Alba brav auf ihrem Stuhl. »Der Marchese will zuerst wissen, mit welchem Anliegen du hier bist.«
»Das kann ich nur der Marchesa persönlich sagen.«
Averardo verschwand wieder für kurze Zeit und teilte ihr dann mit: »Die Marchesa ist krank. Wenn du es dem Marchese nicht sagen kannst, warst du umsonst hier.«
Verzweifelt überlegte Alba, was sie nun tun sollte. Aufschreiben ging nicht, dann konnte jeder lesen, was nur die Marchesa hören sollte. Aber die Madonna hatte gesagt, dass es von allerdringlichster Wichtigkeit war! »Aber ich kann mich nicht anstecken, dann kann ich doch zu ihr!«
Plötzlich wurde die Zwischentür aufgestoÃen, und der Marchese Connucci kam persönlich herein. Sein langer Samtrock war mit Perlmuttknöpfen besetzt, ein weiÃes Hemd schaute darunter hervor. Er hielt einen Gehstock mit einem vergoldeten Elfenbeinknauf in den Händen. Ehrfürchtig rutschte Alba vom Stuhl, neigte den Kopf und machte einen Knicks.
»Ein hübsches junges Ding und so halsstarrig?« Der Marchese legte Alba den Knauf des Gehstocks unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Wie alt bist du?«
»Zwölf, glaube ich â¦Â«, stotterte sie. Vor dem Sekretär des Marchese hatte sie keine Furcht gehabt, aber vor diesem Mann fühlte sie sich klein und hilflos. Er sah sie mit anderen Augen an als sein Sekretär, mit begierigen Augen, und sie fürchtete sich, weil sie diesen Blick bei Männern gesehen hatte, bevor die sich mit ihrer Mutter vergnügt hatten. Manchmal hatten diese Männer nach ihr gefragt, doch ihre Mutter war dann wütend geworden und hatte gesagt, dass Alba dafür noch zu jung sei. Aber ihre Mutter war tot, die Madonna war nicht hier, um sie zu beschützen, und die dunklen Augen des Marchese schienen Gefallen an ihr zu finden.
Der Marchese Gadino del Connucci lächelte. »Ich denke, wir haben uns einiges zu sagen.« Er war älter und kräftiger als sein Sekretär und trug die Haare kürzer.
»Nein.« Alba
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