Die Tochter des Tuchhandlers
gesperrt, und nur diejenigen Luccheser, die die Stadt verlassen wollten, durften ziehen.
Angst war den Lucchesern von den Gesichtern abzulesen, und jeder beäugte jeden, ob etwa Anzeichen der schrecklichen Seuche zu finden waren. Wunderarzneien wie Theriak oder Mithridat fanden reiÃenden Absatz, und Bader und Ãrzte waren die Einzigen, die Tag und Nacht mit ihren Taschen unterwegs waren. Um Platz für die zu erwartenden Kranken zu schaffen, wurden viele Arme, die in den Hospizen und Klöstern Unterschlupf gefunden hatten, wieder auf die StraÃe gesetzt und fielen damit unter die Obhut der Republik, die die Bedürftigen durch Stadtknechte in leeren Lagerhäusern zusammentreiben lieÃ. Sobald die Blattern in einem dieser Notquartiere ausbrachen, war die Katastrophe nicht länger aufzuhalten.
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Alba lief mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze über die Piazza San Michele. Es war früher Vormittag, und dunkle Wolken hingen am Winterhimmel. An einem Dezemberwochentag war der Platz gewöhnlich überfüllt mit Marktfrauen, marzari , Mandolettikrämern und caldarrostaii . Doch heute war die Piazza still, und weder süÃes Zuckergebäck noch der Duft heiÃer Maronen konnten Alba verlocken, denn die Händler versteckten sich in ihren Häusern oder waren gar nicht erst nach Lucca hereingekommen. Ein Stadtknecht stand an einer Ecke der Kirche und rief zu ihr herüber: »Eh, was treibst du dich hier herum, geh nach Hause, Mädchen!«
Alba nickte und rannte weiter, die Marmorstufen der Piazza hinunter in die Via Roma, von dort war es nicht mehr weit zum Palazzo Connucci. Aus dem Palazzo der Buornardis zu gelangen war nicht einfach gewesen, aber Alba hatte so lange gejammert und geweint, dass ihr geliebter Fio fortgelaufen sei, bis Plantilla sie unter dem Vorwand, sie müsse getrocknete Kräuter kaufen, aus dem Haus geschickt hatte. Pietro Farini hatte ihren Namen eingetragen und ihr unter Androhung schärfster Strafen verboten, sich mit irgendjemandem zu unterhalten oder auch nur stehen zu bleiben. Als ob sie das vorgehabt hätte! Sie war viel zu stolz, dass die Madonna ihr diesen wichtigen Auftrag zugeteilt hatte. Natürlich nur, weil Ines nicht mehr da war. Sie wusste, dass die Madonna Ines vermisste, aber ihretwegen konnte die Zofe ruhig fortbleiben, denn die hatte sie nur herumgeschubst und sie spüren lassen, dass sie aus der Gosse kam.
Mit verfrorenen Fingern hielt sie die Kapuze fest, die während des Laufens nach hinten zu rutschen drohte. Dass sie von ganz unten kam, wusste Alba selbst nur zu genau, aber die Madonna hatte ihr eine Chance gegeben, und die würde sie nutzen. Als Kind hatte sie sich bei einer Kuh mit den Pocken angesteckt und war seitdem nie wieder an Pocken oder den gefürchteten Schwarzen Blattern erkrankt. Ein Bader hatte ihr gesagt, dass man nur einmal an den Pocken erkranke und dann gegen die Krankheit gefeit sei. Deshalb hatte sie keine Angst, heute durch die verlassenen StraÃen zu laufen. Neben dem Hauseingang eines Wagners hockte eine zerlumpte Gestalt mit trübem Blick. Das Gesicht war von eitrigen Pusteln entstellt. Wahrscheinlich hatten die Hausbewohner den Mann ausgesperrt, doch nutzen würde es ihnen wenig. Die Blattern waren eine Strafe Gottes, und seinem Schicksal konnte man nicht entgehen.
Das Tor zum Seiteneingang des Palazzo Connucci stand offen, weil ein mit Säcken und Kisten beladener Karren vor ihr hindurchrumpelte. Alba lief hinterher und stand in einem Hof, der doppelt so groà war wie der der Buornardis. Ãberhaupt war hier alles prächtiger, livrierte Diener liefen eilfertig herbei, um beim Abladen zu helfen. Da sich niemand um sie kümmerte, ging Alba an den Wirtschaftsräumen vorbei ins Haus. Sie erhaschte gerade noch einen Blick in die weiÃgolden glänzende Eingangshalle, als jemand sie hinten am Umhang packte.
»Was suchen wir denn hier?« Ein älterer Diener, dessen Livree von einer dicken goldenen Kordel geziert wurde, musterte sie abschätzig.
Ihr Umhang war aus gutem Wolltuch und wahrscheinlich der einzige Grund, warum der Mann sie nicht sofort mit einem FuÃtritt auf die StraÃe beförderte. »Ich muss mit der Marchesa sprechen, Signore«, sagte Alba fest.
Der Mann lachte und rief einem dunkelhäutigen Zwerg zu: »Sie will mit der Marchesa sprechen, Dado. Einfach so. Jetzt ist meine Geduld am Ende. Raus!«
Alba riss sich los und trat zwei
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