Die Tochter des Tuchhandlers
waren drakonisch. Beatrice hatte gehört, dass man in Venedig jungen Männern, die der Unzucht mit dem eigenen Geschlecht beschuldigt waren, die Nasen abschnitt, um sie in ihrer Eitelkeit zu treffen.
Nach einem warnenden Blick von Ugo ging Lelo nicht näher auf das Thema ein, räusperte sich und fuhr fort: »Seine Schwester wurde mit einem reichen Wollhändler in Pisa verheiratet. Sie ist ein hübsches Ding, da hat der Zukünftige wohl ein Auge zugedrückt bei der Mitgift. Jedenfalls ging sie nach Pisa, war kaum ein halbes Jahr verheiratet und kam als Witwe wieder her.«
»Wie ist ihr Mann denn gestorben?«, fragte Beatrice.
»Alles nur Gerüchte!«, warf Ugo ein.
»Ja, aber steckt nicht in jedem Gerücht ein Funken Wahrheit?«, meinte Lelo. »Ihr Mann war kerngesund und auch kein Greis. Nicht jung, aber kräftig und in seinem Saft. Er starb beim Essen! Angeblich verschluckte er sich an einem Hühnerknöchlein!«
»Das mag sich doch so zugetragen haben. Es gab keine Gerichtsverhandlung. Sie kam zurück, brachte das Witwengeld mit â¦Â« Weiter kam Ugo nicht.
»Das ihr Bruder innerhalb von wenigen Monaten verspielt hat! Aber sie soll einige reiche Gönner haben, die ihr immer wieder mit Geld aushelfen â¦Â«
»Dann ist sie die Mätresse von �«, fragte Beatrice atemlos.
Ugo schlug mit einer Hand gegen seinen Webstuhl. »Eben, wir wissen nicht, von wem. Solange man nichts Genaues weiÃ, sollte man niemanden verurteilen. Vielleicht ist sie nur eine Witwe, die hübsch ist und der man es neidet.«
Beatrice biss sich auf die Lippen, aber sie wusste auch, dass eine unrechtmäÃige Beschuldigung jemanden an den Galgen bringen konnte. DrauÃen prasselte der Regen auf die StraÃe. Dunkle Wolken hatten sich über der Stadt zusammengezogen. Es konnte Stunden dauern, bis das Wetter sich änderte.
»Was machen wir nur? Der Herr wird Euch suchen lassen, wenn wir nicht bald zurück sind.« Ines trat unruhig vor dem Fenster auf und ab.
»Wir können einen Boten zu Eurem Palazzo schicken, damit man Euch hier abholt«, schlug Ugo vor.
»Ich glaube kaum, dass man uns vermissen wird.« Der Gedanke an die Witwe Porretta lieà Beatrice nicht los. Wahrscheinlich verbrachte Federico die vielen Nächte, die er nicht zu Hause war, bei dieser Frau. Wo sollte er sonst sein? »Wir waren im Spital Santa Caterina«, erzählte Beatrice.
»Tatsächlich? Dann kennt Ihr vielleicht unsere Schwester Elena, eine herzensgute Seele. Sie ist dort Ordensschwester. Schon als Kind hat sie Vögel gefüttert und sich um Aussätzige gekümmert. Nie hat sie sich angesteckt. Für uns ist sie eine Heilige.«
Eine gute Familie, dachte Beatrice und hatte, wenn die finanziellen Verhältnisse geklärt waren, nichts gegen eine Verbindung von Ines mit dem Weber einzuwenden, auch wenn sie Ines nur ungern gehen lassen würde, war sie ihr doch eine echte Freundin geworden, die einzige, die ihr geblieben war.
Ines kam aus dem Dorf Lunata an der Via Francigena, wo ihre Familie vom Korbflechten lebte. Eine Mitgift hatte sie nicht zu erwarten, doch weil Ines den Rimortellis viele Jahre eine treue Dienerin gewesen war, würde Ser Rimortelli ihr eine Aussteuer geben.
»Da ist die Porretta!« Lelo zeigte zum Fenster, an dem eine Frau eilig vorbeischritt.
Da sie ein Tuch um den Kopf gelegt hatte, konnte Beatrice kaum etwas von ihrem Gesicht erkennen, doch die Kleidung der schlanken Frau wirkte edel. In dem Moment riss ihr ein Windstoà plötzlich das Tuch von den Haaren und gab den Blick auf ein ebenmäÃiges Gesicht mit dunklen Augen frei. Marcina Porretta drehte den Kopf aus dem Wind und schaute dabei für den Bruchteil einer Sekunde in das Fenster des Webers. Beatrice erstarrte. Schönheit, gepaart mit Rücksichtslosigkeit und Narzissmus, schoss es ihr durch den Kopf, waren eine gefährliche Mischung, und sie wusste, dass diese Frau ihre Feindin sein würde. Ihr Herz raste. Wie gebannt starrte Beatrice aus dem Fenster, vor dem der Regen herniederging. Ein Schatten löste sich aus einem Torbogen und folgte der Witwe.
»Was ist mit Euch? Ihr seht aus, als hättet Ihr den Leibhaftigen gesehen.« Ines berührte sie leicht am Ãrmel.
»Den Leibhaftigen«, flüsterte Beatrice und verspürte eine unerklärliche Furcht. Eine düstere Vorahnung legte sich wie eine schwere, nasse Decke
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