Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Sie atmete tief durch. Dann machte sie
sich daran, das zweite Brett zu entfernen, und hatte bald auch dieses Stück Holz
in der Hand. Sie öffnete die Verriegelung der Läden und schob sie ein kleines Stück
weit auf. Niemand sollte von draußen auf sie aufmerksam werden.
Der Kanal
lag drei Stockwerke tiefer. Sie sah den Teil einer Gondel, die vorüberglitt, dachte
kurz daran, den Laden aufzustoßen und hinunterzurufen. Sie verwarf diese Möglichkeit
wieder. Erstens verstand vielleicht niemand ihre Sprache, zweitens würde sie zu
viel Wirbel veranstalten.
Sie blickte
nach unten, um einen Eindruck von der Hausfassade zu bekommen. Die Fenster in den
anderen Stockwerken schienen höher, hatten oben eine überstehende Steinumfassung
und schlossen nach unten ab mit einer Reihe von schmalen Balkonen. Konnte sie sich
bis dorthin hangeln, mit den Füßen Halt finden, ein Stockwerk tiefer und dann? Ihr
wurde schon mulmig, wenn sie nur daran dachte.
Sie zog
die Läden wieder zu, befestigte die Querhölzer, damit niemand etwas merkte. Nachdenklich
biss sie sich auf die Lippe. Wenn überhaupt, diesen Fluchtweg konnte sie nur im
Dunkeln wagen. Nur, ob die wenige Sicht ihr dabei helfen würde, den Schwindel zu
besiegen, den sie spürte, wenn sie in die Tiefe blickte, das glaubte sie kaum. Und
ob sie überhaupt genug Kraft hatte, sich an der Fassade entlangzuhangeln bezweifelte
sie.
Also blieb
nur die Tür. Vielleicht konnte sie mit Hilfe des Mädchens hinauskommen? Es zu überwältigen,
sollte ihr gelingen, so kräftig schien es nicht zu sein. Aber wenn sie anfing zu
schreien? Jolanthe ging in die Hocke und begutachtete das Schloss sowie die Verankerung
in der Tür. Sie bohrte mit dem Finger in dem morschen Holz des Rahmens und konnte
Splitter davon ablösen. Ein Werkzeug musste her!
Sie begann,
das Zimmer zu durchsuchen, und fand vor allem Dreck und Ungeziefer. Ihr Blick fiel
auf den Tonkrug, mit dem ihr Laetizia das Wasser gebracht hatte. Das ist es, dachte
sie aufgeregt. Um das Wasser nicht zu vergeuden, trank sie es in kräftigen Zügen
aus. Dann nahm sie den Krug am Henkel und schleuderte ihn gegen die Wand. Putz bröckelte,
sonst tat sich nichts.
»Verflucht!
Warum muss das Ding so stabil sein?« Jolanthe blickte sich um. Sie durfte nicht
zu viel Lärm machen, wenn sie den Krug zerschmettern wollte, musste ein Schwung
genügen. Sie fixierte die Kante des Hockers, holte aus und ließ das Tongefäß schräg
dagegen krachen. Es zerbarst mit einem Knall. Jolanthe hielt die Luft an, lauschte,
doch es tat sich nichts. Rasch kniete sie sich hin und suchte aus den Trümmern die
brauchbarsten Stücke heraus. Damit machte sie sich wieder daran, den Türrahmen zu
bearbeiten. Ich gebe nicht so schnell auf.
Pascal ging in seiner Kammer im
Kreis und wusste nicht weiter. Mit Martha hatte er verabredet, dass sie abwarten
würden. Wer auch immer Jolanthe mit sich genommen hatte, ob mit oder gegen ihren
Willen, der würde sich melden über kurz oder lang. Oder Jolanthe tauchte von selbst
wieder auf. Pascal wollte noch einmal zum Hafen, aber Martha schüttelte nur den
Kopf. Sinnlos sollte das wohl heißen. Nur war es nicht noch viel unsinniger, hier
in der Kammer herumzulaufen und gar nichts zu tun? »Wenn das wieder einer deiner
Unmöglichkeiten ist, Jolanthe, dann Gnade dir Gott, wenn du zurückkommst!«
Er drehte
sich um und trat gegen die Wand, um den Schmerz aus seinem Inneren zu überdecken.
Es wirkte nicht lange an. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er wischte sie weg. Nein,
so ging es nicht. Er konnte nicht hier bleiben und verfluchte diese Frau dafür,
dass sie ihm so nahe gekommen war, dass es derart wehtat. Er wollte sich keine Sorgen
um sie machen müssen, wollte die Angst vor dem Verlust nicht mehr spüren. Er musste
raus hier!
Pascal entdeckte
die Nachricht, als er seine Kammer verlassen wollte. Das Papier steckte zwischen
Türrahmen und Tür und flatterte zu Boden, als er sie öffnete. Er bückte sich, hob
es auf und schaute den Gang entlang. Niemand war zu sehen. Mit drei Schritten lief
er zum Fenster, schaute in den Hof. Auch hier gab es nichts Verdächtiges. Die Nachricht
in der Hand ging er zu Martha. Gemeinsam versuchten sie die Schrift zu entziffern,
was sich als nicht einfach herausstellte. Die Worte schienen in großer Eile hingekritzelt
worden zu sein. Schließlich las Martha vor:
»Ich habe
Nachricht, dass sich Vaters Zustand wieder verschlechtert. Werde sofort mit Cornelius
zurückreisen. Er ist mit
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