Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
mehr als einmal
verdeckt einen Heiratsantrag gemacht hatte? Als sie Vico immer noch an demselben
Platz sitzen sah, vertieft in ein Gespräch mit einem anderen Mann, fand sie seine
etwas zu dünn geratene Gestalt sogar anziehend. Besser als ein Schmerbauch war es
allemal, und den würde er auch in 20 Jahren nicht bekommen. Im Gegensatz zu so einem
wie Pascal.
»Ihr habt
erneut getanzt?«, begrüßte Vico sie. »Ich dachte schon, Ihr seid vor mir geflohen.«
»Ach was!«
Sie lachte und spürte einen leichten Schwindel, sodass sie sich neben Vico auf die
Bank plumpsen ließ. Sie kicherte, dann bekam sie einen Schluckauf. Vico klopfte
ihr behutsam auf den Rücken, schien aber keine weiteren Anstalten machen zu wollen,
den Faden ihres Gesprächs wieder aufzunehmen. Das machte sie ungeduldig.
»Ihr wolltet
mich doch fragen, ob Ihr bei meinem Vater um meine Hand anhalten könnt. Nur zu.«
Sie kicherte. »Ich bin sicher, er empfängt Euch wohlwollend.« Sie kicherte wieder,
trank noch mehr Wein und hasste sich für ihre Albernheit, aber sie konnte nicht
anders.
Kapitel 8
Jolanthe hatte am offenen
Fenster des Kontors gestanden und die Blumen gegossen, als sie unten auf der Straße
Heinrich Lechner, den Zunftmeister der Kaufleute, auf ihr Haus zueilen sah. Sie
schloss die Augen und versuchte, ihn allein durch die Kraft ihres Willens fortzuschicken,
doch vergebens. Es war also soweit, nun würden alle Ausflüchte nichts mehr helfen.
Wenn der Lechner sich zu ihnen begab und Winald sprechen wollte, konnte sie die
Mär von dessen Reise nicht mehr aufrechterhalten. Zu gewagt wäre das. Also würde
der Zunftmeister nun sehen, dass der Vater krank und handlungsunfähig im Bett lag.
Und dann?
Es klopfte
energisch an die Haustür, und um Katrein nicht mit dem Mann allein zu lassen, hastete
Jolanthe aus dem Raum und die Treppe hinunter. Die Magd hatte den Gast bereits eingelassen.
Jolanthe unterdrückte den Drang, den Lechner rückwärts wieder hinauszuschieben.
Aus welchem Grund kam er ausgerechnet jetzt?
»Jungfer
Jolanthe, ich grüße Euch.«
Die dunkle
Stimme hätte angenehm sein können, wenn ihr sein Besitzer nicht so unwillkommen
gewesen wäre. Sie kannte den Zunftmeister nur von seinen seltenen Besuchen im Kontor
und den Festen, wenn ein Zunftmitglied etwas zu feiern hatte. Wie sie den Mann einzuschätzen
hatte, wusste sie nicht. Er musste sich im Türrahmen bücken, als sie ihn in die
Küche geleitete, so groß gewachsen war er. Seinen stattlichen Bauch hüllte teures
Tuch ein, und um seinen Hals hing eine Kette, die ihr so wertvoll schien, als könne
er damit ihr komplettes Haus erwerben mit Katrein als Dreingabe.
Er war ein
einflussreicher Mann, ohne Zweifel, und sein Kontor um Längen größer als das des
Vaters. Soweit sie wusste, war er groß im Fernhandelsgeschäft involviert. Was konnte
sie so einem entgegensetzen? Ihre mangelnde Erfahrung? Ihr Durchsetzungsvermögen
als Frau? Sie hätte fast gelacht, riss sich zusammen und beschloss, die Sache erst
einmal zu beobachten. Der Mann gehörte zu Sieglinde in die Küche, und sie würde
Winald warnen.
»Geh, such
Sieglinde, schnell«, raunte sie Katrein zu und setzte ihr Lächeln auf für den Gast.
Sie brauchte Zeit, und wenn sie dafür die Etikette verletzte, indem sie den Gast
nicht gleich in die Stube führte, war es eben nicht anders zu machen.
»Was führt
Euch zu uns?«, fragte sie und bedeutete ihm, sich an den Küchentisch zu setzen.
Mit hochgezogenen Brauen sah er sich um, doch Jolanthe ignorierte seine Geste. Endlich
einmal kam es ihr zugute, dass sie den Ruf hatte, vom Haushalt und den Pflichten
einer Gastgeberin keine Ahnung zu haben. So konnte er ihr kaum böse sein. Als er
ansetzte zu sprechen, erschien Sieglinde in der Tür. Auf ihrer Stirn zeichnete sich
eine steile Falte, so als sei sie verärgert. Natürlich war ihr die Bedeutung dieses
Besuches ebenso klar wie Jolanthe. Sie knickste.
Heinrich
Lechner nickte missmutig, dann sagte er: »Man munkelt, bei Euch im Haus gebe es
Schwierigkeiten. Ihr wisst, dass ich mich darum kümmern muss, das ist meine Pflicht.
Ich möchte mit Eurem Vater sprechen.«
Die Stille,
die daraufhin folgte, kam Jolanthe erdrückend vor. Rasch ging sie auf Sieglinde
zu und drückte ihren Arm, in der Hoffnung, sie würde die Geste verstehen und mitspielen.
Sie blickten sich kurz an, dann richtete sich Jolanthe an den Besucher: »Unser Vater
ruht sich aus. Ich werde ihn wecken und ihm sagen, dass Ihr da seid.« Die Lüge
Weitere Kostenlose Bücher