Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Dennoch wollte Jolanthe ihn nicht allein lassen. Die Decke, die sie
über seine Beine gebreitet hatte, war ein wenig verrutscht. Die Krücke hatte sie
hinter einer Truhe versteckt.
»Ich will
offen sein, ich mache mir Sorgen«, begann der Zunftmeister das Gespräch.
»Aus welchem
Grund?«
»Mir wurde
zugetragen, dass es mit Eurer Gesundheit nicht gut steht. Nun frage ich mich, warum
ich davon über andere erfahren muss, nicht von Euch selbst.«
Winald nickte,
so als habe er erwartet, dass genau dieses Thema zur Sprache kommen würde, und als
sei es das Natürlichste von der Welt, dass der Zunftmeister ihn just jetzt deswegen
aufsuchte.
»Ihr seht
mich gesund und munter. Es gab keinen Grund, um Hilfe zu bitten, deshalb habt Ihr
auch nichts von mir gehört.«
Lechner
nickte. Da Jolanthe nur seinen Rücken sah, konnte sie nicht einschätzen, ob Winald
ihn überzeugen konnte oder nicht.
»Ihr seid
nicht mehr der Jüngste, Winald. Eure Sieglinde ist in dem richtigen Alter, um für
sie einen Mann zu suchen. Warum macht Ihr es Euch nicht einfacher? Es ist hilfreich,
einen fähigen jungen Kaufmann an seiner Seite zu wissen. So viel kann geschehen.«
»Eure Sorgen
sind unnötig. Wollt Ihr nicht einen Becher von meinem italienischen Wein kosten?
Ich habe ihn frisch eingekauft.«
Der Besucher
winkte ab und nahm das Thema wieder auf. »Ihr habt keinen Sohn. Unglücklicherweise.«
Jolanthe
hörte mit wachsender Unruhe zu. Die Art, wie der Vater auszuweichen versuchte, schien
ihr wenig zielführend. Zudem verlängerte es das Gespräch unnötig. Sie musste etwas
sagen. »Dafür zwei Töchter, die zupacken können. Ihr braucht Euch wirklich keine
Gedanken um uns zu machen.«
Der Zunftmeister
drehte sich zu ihr um und zog die Brauen hoch, so als missbillige er ihre Einmischung.
»Verzeiht«,
sie knickste. Ihre Wangen brannten. »Doch mein Vater ist immer noch sehr erschöpft.
Ihr solltet nicht zu lange …«
»Hol uns
den Wein, Mädchen«, brummte Winald. Sie sah Schweiß auf seiner Stirn glänzen. Auch
wenn er sie mit Nachdruck in der Stimme fortschicken wollte, sie würde nicht gehen.
Sie durfte ihn jetzt nicht allein lassen.
»Hört, Winald,
ich will Euch nur Gutes und biete meine Hilfe bei der Suche eines Heiratskandidaten
an. Sieglinde ist eine hübsche Frau. Es sollte sich bald wer finden.«
»Heinrich,
ich kümmere mich darum. Lasst es gut sein.«
»Wie Ihr
meint.« Der Mann schüttelte unmerklich den Kopf. »Ihr wisst, die Zunft steht allen
bei, wenn es Probleme geben sollte. Scheut nicht, Euch mir anzuvertrauen. Es ist
unsere Pflicht zusammenzuhalten und ebenso, darauf zu achten, dass keiner fehl geht.«
Bloß nicht,
dachte Jolanthe, als sich der Zunftmeister erhob. Er grüßte, ging dann an ihr vorbei
auf den Flur, wo Sieglinde schnell zur Seite trat, um ihn durchzulassen und ihn
dann zur Tür zu begleiten. Jolanthe blieb bei ihrem Vater.
»Ich muss
mit euch reden.« Winalds Stimme spiegelte die Erschöpfung, die er nach der Anstrengung
seiner Schauspielerei spüren musste. Er saß zusammengesunken, sodass Jolanthe fürchtete,
er könne vom Stuhl rutschen. Sie eilte zu ihm, half ihm aufzustehen und brachte
ihn zurück in seine Kammer.
Dort fand
sich auch Sieglinde bald ein. Schweigend standen sie um das Bett, in dem Winald
lag, die Augen geschlossen. Jolanthe wischte sich mit den Fingern über ihre Wangen,
die glühten, so als hätte auch sie Fieber. Sie wollte nichts sagen, bis nicht der
Vater die Unterredung begann, suchte den Blick der Schwester, doch die starrte auf
den Boden.
»Ihr habt
es gehört«, begann Winald endlich. »Die Zunft ist bereits auf uns aufmerksam geworden.«
»Er kann
uns nichts tun«, erwiderte Jolanthe, froh, dass das Schweigen endlich gebrochen
wurde. »Die Geschäfte laufen ganz normal, niemand hat sich bislang beklagt. Cornelius
und ich, wir führen das Kontor zu Eurer vollsten Zufriedenheit, es ist alles bestens.«
»Ich werde
noch ein paar Tage hier liegen, fürchte ich.« Ein schwaches Lächeln glitt über sein
Gesicht.
»Meine liebe
Schwester, würde es dir etwas ausmachen, wenn ich auch mal etwas sage?«, mischte
sich Sieglinde ein. Ihr feindseliger Blick erschreckte Jolanthe. »Dein kleines Schauspiel
von vorhin in Ehren, aber Vater hat das Aufstehen sicher nicht gutgetan.«
»Er wollte
…«
»Keinen
Zank!« Winald richtete sich auf und sah von einer zur anderen. »Nehmt Rücksicht,
ich verbiete hier jeglichen Streit. Ich will ihn nicht hören.«
Sieglinde
war
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