Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Münsterplatz
stehen. Ihr Blick fiel auf zwei Tauben am Boden, die die Schnäbel aneinander rieben
und gurrten. Plötzlich hackte die eine nach der anderen und stieg mit ein paar Flügelschlägen
in die Luft.
Jolanthe
rieb mit den Händen ihre Wangen warm. Es war wieder kühler geworden. Sie betrachtete
die am Boden gebliebene Taube und fühlte sich hilflos. Seit Tagen schon drückte
ihr dieser Zustand aufs Gemüt und ließ sie anders reagieren, als sie wollte – und
als sie es von sich gewohnt war. Überlegenheit, die brachte einen weiter, nicht
dieses zänkische Aufbegehren gegen alles, nur weil man eins nicht ändern konnte.
»Kann man
etwas nicht ändern, muss man nach Wegen suchen, um damit umzugehen«, das war ein
alter Spruch von Martha. Warum ließ sie hier nicht alles stehen und liegen und ging
zur Freundin? Die würde sicher einen Rat haben, einen Trost.
Ein Lastenträger
rempelte Jolanthe an, sie fiel auf die Knie und griff mit den Händen in Schmutz.
»Kannst
du nicht aufpassen?«, hörte sie eine wütende Stimme hinter sich.
»Selbst«,
antwortete sie. »Was glaubst du, wofür deine Augen im Kopf gedacht sind?« Sie erhob
sich. Ihr Kleid war beschmutzt, und ihr selbst war zum Heulen. Plötzlich mischte
sich eine Frauenstimme ein, die sie sofort erkannte. »Du Dreckskerl, hilf ihr wenigstens
auf die Beine, oder ich mach dir welche!«
Jolanthe
fühlte sich am Arm gepackt, obwohl sie bereits wieder stand. Ein leichter Geruch
nach Kräutern stieg in ihre Nase.
»Schon gut,
Martha. Ich stehe ja wieder.«
»Komm mit,
hier ist mir zu viel los.«
Martha zog
Jolanthe mit sich in eine der schmaleren Nebengassen, in der sich die oberen Stockwerke
der Fachwerkhäuser nach vorn hin verbreiterten. Ein paar Schritte weiter wurde aus
einem Fenster eine Brühe ausgeleert, die sich am Boden mit dem Unrat verband, der
dort vor sich hin faulte.
»Wie machst
du das, Martha? Du erscheinst immer dann, wenn man dich braucht.«
»Ich will
nicht sagen, dass es Zufall ist.« Martha lächelte sie an. Eine Strähne ihres störrischen
Haares hatte sich aus dem Zopf gelöst und hing ihr ins Gesicht. Sie trug wie immer
eines ihrer bauschigen Kleider, darüber einen Umhang, sodass sie stämmiger aussah,
als sie eigentlich war.
»Gottes
Fügung?«, schlug Jolanthe vor.
»Sagen wir,
zwischen Freundinnen gibt es eine besondere Verbindung. Wie auch immer sie aussieht,
sie sitzt hier.« Sie legte ihre Hand auf die Brust.
»Du hat
dir Sorgen um mich gemacht?«
»Ich musste
einer Frau im Kindbett helfen und bin nun unterwegs zu einer Schusterwerkstatt,
in der sich der Lehrling die Hand an einen Schuh genagelt hat.«
Jolanthe
musste lachen über die Formulierung.
»So gefällst
du mir schon besser«, Martha ließ sie los und tätschelte ihren Arm. »Winald ist
sicher noch nicht wieder auf den Beinen, oder?«
»Was ist
das für eine Frage?«
»Eine berechtigte,
wenn ich an seinen Zustand und seine Uneinsichtigkeit denke.« Marthas Blick wurde
ernst. »Es geht ihm nicht besser, du kannst mir nichts vormachen. Wenn er mich lassen
würde, könnte ich Maden auf die Wunde setzen, die das abgestorbene Gewebe abfressen.
Aber letztlich wird er das Bein aufgeben müssen, ob er es einsieht oder nicht.«
Jolanthe
biss sich auf die Lippen und schüttelte nur den Kopf. Dann besann sie sich, dass
die Freundin nicht ewig für sie Zeit hatte, und wechselte das Thema.
»Sieglinde
heiratet Vico Kunzelmann. Er wird das Kontor von Vater übernehmen, solange der krank
ist.«
Martha zog
die Brauen hoch. »Hat er für dich auch einen Mann gefunden?«
»Es war
Sieglindes Wunsch. Sie hat es bei ihm durchgesetzt, weil sie glaubt, wenn sie das
Kontor länger mir überlässt, werden wir untergehen.«
»Was kein
abwegiger Gedanke ist.«
»Wie?« Jolanthe
hatte nicht erwartet, dass Martha ihr in den Rücken fallen würde.
»Natürlich
kannst du gut rechnen und hervorragend die Bücher führen. Daran zweifle ich nicht.
Aber wie willst du mit anderen Kaufleuten verhandeln?«
»Dafür habe
ich Cornelius.«
»Den kannst
du nicht immer vorschicken.«
Das Gespräch
verlief nicht so, wie Jolanthe sich das erhofft hatte. Sie wollte Verständnis. Stattdessen
schlug Martha in dieselbe Kerbe wie Sieglinde.
»Sogar einer
der Kaufleute will mich unterstützen. Pascal heißt er. Er findet meine Idee gut,
mit Gewürzen zu handeln, und hat mir angeboten, in seinem Kontor in Köln für ihn
zu arbeiten.«
Marthas
Gesichtsausdruck war für Jolanthe nicht zu
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