Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
genug bekommen zum Einlegen ihrer Fische. Aber glaubt ihr, ich schicke
einen Handelszug dorthin mit einem einzigen Fass? Allein die Wegzölle, dann die
bewaffnete Begleitung zum Schutz. Glaubt mir, es ist nichts Schlechtes daran, mit
geliehenem Geld zu arbeiten. Man muss nur mit Köpfchen investieren.«
Die Debatte
wurde immer heftiger, und Jolanthe fand, dass es an der Zeit war, sich zurückzuziehen.
Sie hatte genug gehört, um genauso schlau zu sein wie zuvor. Letztlich musste sie
selbst entscheiden – und zudem, wer war sie denn? Eine junge Frau, die mit einem
kleinen Geschäft ein wenig Kapital erwirtschaftet hatte. Sie hatte genau das nicht,
was man brauchte, um mit Köpfchen zu investieren: Erfahrung. Die Sache mit dem Salz
kam ihr in den Sinn, und sie dachte darüber nach, dass der Kaufmann recht hatte,
Salz wurde immer gebraucht. Nur wussten das nicht auch genügend andere Kaufleute
und versuchten, dort einzusteigen? Nein. Sie würde weiter von unten nach oben arbeiten,
langsam aber sicher ihr Geld vermehren in der Hoffnung, dass Sieglinde und Vico
Vaters Kontor nicht ruinierten, bevor sie mit ihren Geschäften messbaren Erfolg
zu verzeichnen hatte. Das war ein Punkt, der sie wieder zum Nachdenken brachte.
Ihr lief die Zeit davon, wohl wahr. Vielleicht sollte ich beides probieren, im Kleinen
weiter mit dem eigenen Geld Gewürze kaufen und verkaufen und im Großen noch einmal
auf Vater einwirken. Salz, das wäre doch auch ein lukratives Geschäft für ihn. Und
etwas Neues würde ihn von seinen Grübeleien ablenken.
Als sie
sich abwandte, sah sie Cornelius am Eingang zum Handelshaus stehen. Er beobachtete
sie. Sie wunderte sich, über seinen besorgten Ausdruck, grüßte ihn, erhielt aber
nur ein kurzes Nicken als Antwort. Dann eben nicht, dachte sie und machte sich auf
den Heimweg.
Kapitel 21
Sie saßen beim Essen, und die Stimmung
schien für Jolanthe besser als sonst zu sein, auch wenn sie nicht genau erfassen
konnte, woran das lag. Die Köchin hatte ihnen Blancmanger zubereitet, mit Fisch,
statt wie sonst üblich mit Huhn. Es schmeckte hervorragend mit einem leichten Hauch
von gestoßenen Veilchen. Jolanthe brach sich ein Stück vom ofenwarmen Brot ab und
tunkte es in die Mischung aus Reis, Fisch, Mandeln und Ziegenmilch. Sie beobachtete
Sieglinde, die sich mit Vico eine ganze Weile über die neuen Teller und Becher unterhalten
hatte und nun still neben ihrem Mann saß, der sich Winald zugewandt hatte. Der feingeschnittene
Mund der Schwester trug heute einen bitteren Zug, und das wunderte Jolanthe. Wo
Sieglinde doch alles bekommt, was sie will. Jolanthes Blick glitt weiter zu Vico.
Seine ausladenden Gesten sollten wohl vertuschen, dass er wie üblich nichts zu sagen
hatte. Dieser Gedanke war gemein, natürlich, aber es geschah so häufig, dass er
erzählte und erzählte. Letztlich verlor man den Überblick, und wenn er fertig war,
wusste man nicht, was er eigentlich hatte sagen wollen. Sie schaute wieder auf ihre
Schwester. Ihre Blicke trafen sich, wichen einander aus. Ob Sieglinde mit ihrer
Wahl zufrieden war? Jolanthe hätte es nicht sagen können, Vico und sie gingen stets
höflich miteinander um, wenn andere zugegen waren. Nach Jolanthes Eindruck tat Sieglindes
Mann alles, was seine Frau von ihm verlangte. Was also wollte diese mehr? Vielleicht
das Gefühl, das ich spüre, wenn Pascal mich berührt, dachte sie, um sich gleich
darauf ein dummes Huhn zu schimpfen.
Das Gespräch
von Winald und Vico lief in geschäftliche Bahnen. Jolanthe horchte auf. Sie selbst
hatte noch am Morgen einen mageren Barchenthandel in das Kontorbuch eingetragen,
bei dem Vico nicht genügend herausgehandelt hatte.
»Die Zeiten
sind schwierig«, sagte Vico. »Wir sollten mehr auf die Weber in Ulm setzen.«
Winald winkte
ab. Offenbar hatten die beiden dieses Thema bereits ausreichend erörtert. »Hör endlich
auf mit diesem Unsinn!«, murrte er. »Ich habe dir deutlich gemacht, worauf es in
unserem Kontor ankommt. Halte dich daran, und die Geschäfte werden laufen.«
Ein unangenehmes
Schweigen breitete sich aus. Die gute Stimmung war von einem Augenblick zum nächsten
verschwunden. Jolanthe musterte den Vater verstohlen. Die Falte zwischen seinen
Brauen hatte sich tiefer eingegraben, so schien ihr. Ungnädig war er geworden und
ungeduldiger als früher auch. Sie richtete sich auf und ergriff das Wort:
»Ich würde
nicht die Zulieferer wechseln, sondern das Handelsgut.« Alle blickten von ihrem
Essen hoch und starrten
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