Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Vorteil
verschafft.«
Jolanthe
dachte an Pascal, wie sie mit ihm oben auf dem Münsterturm gestanden hatte, seine
Nähe, sein Versuch, sie von seinen Ideen zu überzeugen. Was trieb ihn an, sich so
um sie zu kümmern? Diese Frage bekam mit den Worten des Vaters eine andere Bedeutung.
Winald fuhr
fort: »Der Familie hingegen kannst du vorbehaltlos trauen.«
»Also auch
Vico?«
»Natürlich.
Der gehört nun auch dazu. Wir wollen nur dein Bestes.«
Ausgerechnet
Vico, dachte Jolanthe. Ehe ich mich diesem unfähigen Tropf unterwerfe, traue ich
doch lieber Pascal, auch wenn der mir was verschweigt, das spüre ich. Ich spüre
aber auch, dass er es ehrlich meint! Vater hat unrecht.
»Also kein
Salzhandel?«
»Ich dachte,
ich hätte mich deutlich ausgedrückt. Halte dich aus den Geschäften heraus.«
Jolanthe
bat darum, sich zurückziehen zu dürfen. Auf dem Weg in ihre Kammer dachte sie nach.
Spätestens als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, wurde ihr klar, dass sie
nur zwei Möglichkeiten hatte. Sie konnte dem Rat des Vaters folgen, sich nur noch
um die Bücher kümmern und zusehen, wie Vico ein Geschäft ums andere ruinierte und
Sieglinde die Rücklagen des Kontors weiter verbrauchte. Sie konnte aber auch Pascals
Rat folgen und ein Wagnis eingehen. Ich könnte es euch allen zeigen. Ihr wisst doch
gar nicht, wozu ich fähig bin.Ihr Unglück war nur, dass sie es selbst nicht
wusste.
Jolanthe betrat das Badehaus mit
gemischten Gefühlen. Sie kannte es, weil es zu den besseren Häusern Ulms gehörte,
in denen sich vornehmlich Kaufleute, Patrizier und andere gut Betuchte einfanden.
Dementsprechend teuer war auch der Eintritt.
Bereits
im Vorraum herrschte feuchtwarme Luft, und der Duft nach Lavendel und Seife überlagerte
alles. Jolanthe zog sich aus und legte ihre Kleider sorgfältig ab. Dann betrat sie
den eigentlichen Baderaum. Sie war nicht zum ersten Mal hier, das öffentliche Baden
war sie gewohnt, im Allgemeinen genoss sie diese angenehmen Auszeiten. Doch heute
fühlte sie sich in ihrer Nacktheit befangen. Sie blickte sich um. In durchscheinende
Gewänder gekleidete Bademägde huschten zwischen den Badezubern hin und her, bedienten
die Badenden mit Speisen und Getränken, die diese auf quer liegenden Holzbrettern
abstellten. Die schulterhohen Zuber waren unterschiedlich groß, je nachdem, mit
wie vielen man gemeinsam ins Wasser steigen wollte.
Es war noch
zu früh am Tag, erst gegen Abend würden sich alle füllen. Dennoch mischten sich
Männer- und Frauenstimmen in der feuchten Luft, Gelächter zeugte von ausgelassener
Stimmung. Ein Mädchen blieb vor Jolanthe stehen und wollte sie zu einem der Zuber
führen, doch sie winkte ab, sah sich stattdessen weiter um. Sie entdeckte Pascal
in einem der hinteren Zuber, in dem er allein saß, mit dem Rücken zum Eingang, sodass
er sie nicht sehen konnte. Warum auch immer er diese Pose gewählt hatte, sie fühlte
sich dennoch nicht wohler, als sie über die nassen Holzplanken schritt. Warum hatte
er sie ausgerechnet hierher bestellt? Bei ihm angekommen, berührte sie ihn an der
nackten Schulter, sodass er sie bemerkte und sich zu ihr umdrehte. Sie spürte seine
Blicke auf ihrem Körper, so als würde er sie berühren. Es war ihr nicht unangenehm.
»Schön,
dass du gekommen bist.«
»Es war
gewagt, den Jungen zu unserem Haus zu schicken. Was wäre gewesen, wenn mein Vater
oder Vico ihn abgefangen hätten?«
»War es
nicht. Er hatte seine Anweisungen.«
Sie stieg
auf den Hocker und kletterte über den Holzrand des Zubers. Das warme Wasser prickelte
auf der Haut, als sie eintauchte. Sie schloss die Augen, tauchte unter und berührte
dabei mit ihrem Bein das von Pascal. Es fühlte sich an, als liefen Ameisen auf ihrer
Haut. Sie zog ihr Bein nicht zurück, auch nicht, als sie wieder auftauchte. Es fühlte
sich zu gut an, und auch er rührte sich nicht.
Wasser tropfte
ihr vom Kinn, kitzelte sie an den Schläfen, dort, wo es von den Haaren herunter
rann. Sie wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht. Dann begutachtete sie
die Speisen auf dem Holzbrett vor sich. Sie schienen noch unberührt.
»Hast du
auf mich gewartet?«
»Sehnsüchtig.«
Sie sah
ihn an und hielt seinem Blick stand. Täuschte sie sich oder war die Berührungsfläche
ihrer Waden ein Stück weit größer geworden? Sie zog ihr Bein zurück und bedauerte
es im gleichen Moment. Was tue ich hier?, fragte sie sich.
»Erst auf
einen Turm, nun ins Wasser, ich werde das Gefühl nicht los,
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