Die Tochter von Avalon - Avalon High
niemals kriegen …
Aber noch bevor ich entscheiden konnte, was ich tun sollte, sah mich Will plötzlich durchdringend an und fragte: »Ist mit dir alles in Ordnung, Elle? Du siehst ein bisschen … blass aus.«
Ich fühlte mich auch blass. Tatsächlich hatte ich sogar ein wenig das Gefühl, als würde mir die ganze Avocadocreme, die ich vorher verschlungen hatte, gleich wieder hochkommen.
»Mir geht’s gut«, behauptete ich, obwohl das selbst in meinen eigenen Ohren wie eine Lüge klang.
»Dir geht’s nicht gut«, widersprach Will mit fester Stimme. »Komm mit. Wir schnappen ein bisschen frische Luft.«
Dann passierte etwas Erstaunliches. Er nahm meine Hand - griff danach, als sei dies die natürlichste Sache der Welt - und führte mich zu einer Tür, die ich vorher nicht bemerkt hatte. Anschließend ging er mit mir einen engen, steilen Treppenaufgang hinauf, der in eine Art schmale Dachveranda mündete, die sich über die gesamte Länge des Hauses zog. Obwohl die Party unten in vollem Gang war, war es hier draußen auf diesem engen Austritt ziemlich
ruhig. Ruhig und dunkel, mit einem fantastischen Ausblick auf die Sterne am Himmel und auf die lang gezogene Bucht unter uns, in der sich der Mond als breites Lichtband spiegelte. Eine kühle Brise wehte mir die Haare aus dem Gesicht, und sofort fing ich an, mich ein wenig besser zu fühlen.
Ich lehnte mich gegen das kunstvoll geschnitzte Geländer, das die gesamte Länge der Veranda umsäumte, und blickte hinaus auf die Bucht, auf die Brücke, die sie überspannte, und auf das gelegentliche Aufleuchten von Autorücklichtern, wenn gerade jemand darüberfuhr.
»Besser?«, fragte Will.
Ich nickte, doch da mir das Ganze etwas peinlich war und ich verhindern wollte, dass er mich allzu genau ansah - bestimmt war ich immer noch ein bisschen grün im Gesicht -, fragte ich mit heiterer Stimme: »Was ist das hier eigentlich?«, womit ich die schmale Plattform meinte, auf der Will und ich standen.
»Du bist wirklich nicht von hier, stimmt’s?« Will grinste, dann trat er zu mir an die Brüstung und sagte: »Man nennt es einen Witwengang. Alle alten Häuser hier in der Gegend haben einen. Die Leute behaupten, sie seien für die Frauen von Seeleuten erbaut worden, damit diese von hier aus nach den heimkehrenden Schiffen ihrer Männer Ausschau halten konnten.«
»Wie nett«, lautete meine sarkastische Antwort. Weil natürlich im Fall, dass ein Ehemann nicht heimkehrte, dies bedeutete, dass sein Schiff untergegangen und seine Frau zur Witwe geworden war, wodurch ihr hübscher kleiner Aussichtsposten zum Witwengang wurde.
»Nun ja. Aber das ist nicht das, wofür sie in Wirklichkeit
gedacht waren. Man hat sie gebaut, damit die Leute früher, als die Kamine noch zum Heizen, Kochen und so weiter benutzt wurden, von hier aus das Feuer löschen konnten, falls eins der Dächer in Brand geraten war.«
»Wie nett«, sagte ich wieder, diesmal sogar noch sarkastischer.
Will lächelte. »Ja. Ich schätze, sie sollten den Namen ändern.« Er zuckte die Schultern. »Aber die Aussicht bleibt dieselbe, egal, wie man sie nennt.«
Ich nickte und bewunderte dabei das schimmernde Lichtband, das der Mond über das Wasser warf. »Sie ist schön«, sagte ich. »Beruhigend.«
Beruhigend genug, um ein Mädchen vergessen zu lassen, warum es überhaupt hier hochgekommen war. Was sollte ich bloß wegen Lance und Jennifer machen?
»Ja«, stimmte Will mir zu, ohne die geringste Ahnung von dem inneren Konflikt zu haben, der in mir brodelte.
»Ich bekomme nie genug davon. Es ist das Einzige, das immer gleich zu bleiben scheint. Das Wasser, meine ich. Die Farbe ändert sich. Manchmal ist es ruhig. Manchmal gibt es Wellengang. Aber es ist immer da. Darauf kann man sich absolut verlassen.«
Im Gegensatz zu seiner Freundin und seinem besten Freund.
Aber das sprach ich natürlich nicht laut aus.
Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, ob die neue Mrs. Wagner wohl oft hier raufkam, vielleicht um ihren Morgenkaffee zu trinken. War Will die Ironie des Witwengangs an seinem Haus aufgefallen? Ich meine, weil sie ja eine Witwe war und so.
»Vermisst du sie?«, fragte ich Will plötzlich. Zu plötzlich,
wie mir dann dämmerte, als er mich ansah, ohne die geringste Ahnung zu haben, wovon ich sprach.
»Wen?«, fragte er.
»Ich meine deine Mom«, erwiderte ich. »Deine, ähm, deine richtige Mutter.« Ich hatte das Gefühl, dass es sinnlos war so zu tun, als wüsste ich nicht, was passiert war.
»Meine
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