Die Tochter von Avalon - Avalon High
sich meine Arme und Beine nicht länger wie Wackelpudding an. Stattdessen fühlte ich mich elektrisiert - so als ob mich wirklich ein Blitz getroffen hätte … nur besser. Viel, viel besser. Weil man einen Blitz nämlich nicht umarmen kann. Oder spüren, wie das Herz des Blitzes fast im gleichen Takt schlägt wie das eigene. Oder den Kaffee schmecken, den er einige Zeit zuvor getrunken hat, oder den schönen sauberen Duft von seinem T-Shirt einatmen. Mit Will konnte ich all diese Dinge tun, und ich tat sie …
… inklusive meinen Körper so fest wie möglich gegen seinen zu pressen, und das nicht nur, weil mir nach all dem Regen kalt war. Sondern auch, um mir selbst zu beweisen, dass er am Leben war. Am Leben .
Und er küsste mich.
Und er schien mich gern zu küssen. Sehr, sehr gern.
»Kannst du mir verraten, warum wir das nicht schon früher getan haben?«, wollte Will wissen, als wir schließlich aufhörten, uns zu küssen, und seine Stirn an meiner ruhte.
»Weil du eine Freundin hattest«, erinnerte ich ihn. Ich
war überrascht, dass ich noch immer die Fähigkeit besaß, zu sprechen. Ein Kuss wie dieser hätte mir eigentlich die Sprache verschlagen müssen. Meine Lippen prickelten noch immer davon.
»Ach ja«, sagte er, ohne mich loszulassen. Dann hob er seinen Kopf. »Hey, du zitterst.« Er rubbelte meine Arme mit seinen Händen - seinen großen, warmen Händen. »Kein Wunder. Du bist ja patschnass. Wo bist du so nass geworden?«
»Es hat geregnet«, erklärte ich ihm. Und wie zur Bestätigung ertönte über uns Donnergrollen.
»Hier nicht«, sagte Will.
»Offensichtlich.«
»Wie kann das sein?« Er ließ mich los, aber nur für eine Sekunde, um sich zu bücken und eine Jeansjacke aufzuheben, die er neben seinen iPod gelegt hatte. Er warf mir die Jacke über die Schultern, dann zog er mich wieder an sich. »Hör zu, es tut mir leid, was da heute passiert ist. In der Schule. Mit Marco. Das war schlimm.«
»Ja«, bestätigte ich und genoss es, seine Umarmung zu spüren. »Das war es. Mir tut es auch leid.«
»Du hast keinen Grund, dich zu entschuldigen. Du hast nichts getan. Ich hätte ihn umbringen können, als er dich zur Seite gestoßen hat.«
»Ja«, sagte ich. »Wegen Marco, Will.« Ich schluckte, dann legte ich meine beiden Hände auf seine Schultern und schob ihn ein Stück von mir weg, um in sein Gesicht sehen zu können. Es war auf seine dunkle Weise so anziehend wie immer, mit strahlend blauen Augen, die von dichten schwarzen Wimpern umrahmt wurden.
»Was?«, fragte er und sah zu mir herab. »Er hat doch
nicht - du hast nichts von ihm gehört, oder? Ich habe ihn vor der Schule aus den Augen verloren - ich bin rumgefahren und habe ihn gesucht, aber ich konnte ihn nicht finden. Ich … ich wollte nicht nach Hause.« Er sah in dem Moment von mir weg. »Ich habe ein paarmal versucht, dich daheim anzurufen, aber ich hab immer nur so eine automatische Ansage gekriegt, die behauptet hat, dass das Netz überlastet sei. Ich habe mir überlegt, vorbeizukommen, aber nach dem, was passiert ist, war ich mir nicht sicher, ob -«
Ich legte meine beiden Handflächen um sein Gesicht und drehte es zu mir, damit er mir in die Augen sehen musste.
»Das kann nicht dein Ernst sein«, sagte ich. »Du glaubst, ich würde dich nicht sehen wollen wegen dem, was heute in der Schule war?«
Der Schatten, der mir so vertraut war, glitt über sein Gesicht und verdunkelte seine Züge, ohne dass Will dabei seine Umarmung lockerte.
»Wahrscheinlich weiß es schon die ganze Stadt«, war alles, was er sagte.
»Will, deine Mom hat mich angerufen. Sie macht sich wirklich Sorgen …«
Nun ließ er mich los. Er ließ mich los, drehte mir dann den Rücken zu und fuhr sich mit einer Hand durch sein dunkles Haar.
»Hör zu«, meinte er in Richtung der Bäume. »Ich brauche im Moment einfach ein bisschen Abstand von ihr. Und meinem Dad. Um über das Ganze nachzudenken.« Er sah wieder zu mir, seine Miene war ironisch geworden. »Schließlich findet man nicht jeden Tag heraus, dass die eigene Mutter gar nicht tot ist, weißt du?«
»Ich weiß. Aber deshalb hat sie nicht angerufen.«
Er zog eine Grimasse. »Ich kann mir denken, warum sie angerufen hat. Wegen Marco, stimmt’s?«
Ich nickte wortlos, weil ich mir nicht sicher war, ob mir meine Stimme gehorchen würde. Über uns donnerte es wieder.
Will seufzte. »Was hat Marco jetzt angestellt?« Er grinste, aber nicht so, als ob er das Thema besonders amüsant fände. »Den
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