Die Todesbotschaft
Tobias in der Nacht meinem Vater übergeben hatte. Er landete ebenfalls in meiner Tasche, bevor ich mit klopfendem Herzen den Schalter drückte und mich beim Durchqueren des Arbeitszimmers vergewisserte, dass sich das Bild wieder vor die Öffnung schob. Dann schloss ich die Tür und rannte in den ersten Stock. Kaum hatte ich neben einem Schrank Stellung bezogen, hörte ich meinen Vater die Haustür aufschließen. Mein Gesicht schien vor Aufregung zu glühen, und ich war froh, dass er mich so nicht sehen konnte. Wenn er seiner Routine treu blieb, würde er sich eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank holen, sich in die Bibliothek verziehen und die Nachrichten sehen. Aber es sollte anders kommen. Dem Klacken seines Stockes nach zu urteilen, bewegte er sich Richtung Arbeitszimmer. Ich betete, dass es sich nur um einen kleinen Umweg handelte und er nicht etwa vorhatte, die geheime Kammer zu betreten. Ich lauschte so angestrengt, dass das Rauschen in meinen Ohren alles andere zu übertönen schien. Als nichts geschah, wollte ich schon aufatmen, doch dann hörte ich ihn die Tür aufreißen und meinen Namen rufen.
Ich schlich, so schnell es ging, die Treppe hoch in den zweiten Stock und in mein Zimmer, wo Adrian auf meinem Bettrand wie auf heißen Kohlen saß.
»Er hat es entdeckt. Zieh dich aus und leg dich ins Bett! Sofort!«, flüsterte ich in einem Ton, der nicht den geringsten Widerspruch erlaubte, um gleichzeitig den Gesa-Ordner, Carls Akten- und meine Umhängetasche in einem Koffer in der Abseite zu verstauen. Nachdem ich in Rekordgeschwindigkeit Leggings und Wickelkleid ausgezogen hatte, landete ich neben Adrian im Bett. Ich fühlte mich, als hätte ich ungeübt einen Hundertmetersprint hingelegt, um rechtzeitig zu meiner Hinrichtung zu kommen.
Ohne anzuklopfen, riss mein Vater die Tür auf. Da lag ich jedoch bereits auf meinem Schwager und küsste ihn.
»Ich erwarte euch in fünf Minuten in meinem Arbeitszimmer!«, war das Einzige, was er hervorpresste, bevor er die Tür mit einem Knall hinter sich zufallen ließ.
»Und jetzt?«, fragte Adrian, während er in seine Jeans schlüpfte. »Wie sollen wir die Sachen aus dem Haus bekommen? Dein Vater wird uns ganz bestimmt nicht ohne weiteres damit abziehen lassen.«
Genau das war der Knackpunkt. Sowohl zu Fuß als auch mit dem Auto würden wir es vielleicht bis zum Tor schaffen, aber nicht hindurch, wenn er vom Haus aus den Toröffner blockierte. Das Gleiche galt für das Bootshaus. Nachdem ich mich wieder angezogen hatte, holte ich die Sachen aus der Abseite, stopfte Ordner, Datenträger und Umschlag in Carls Aktentasche und warf die Tasche in den Rhododendron schräg unter meinem Fenster. Dann füllte ich den Koffer mit Kleidungsstücken und Schuhen, ließ die Schlösser einschnappen und verstellte das Zahlenschloss.
Ich sah Adrian mit einem Blick an, der dazu gedacht war, uns beiden Mut zu machen, bevor wir hinuntergingen und ich Koffer und Umhängetasche neben der Haustür abstellte. Blieb zu hoffen, dass mein Vater unserer Täuschung auf den Leim ging.
»Ich mache es kurz«, sagte er mit beachtlicher Schärfe in der Stimme, als wir ihm gleich darauf in seinem Arbeitszimmer gegenüberstanden. »Was immer ihr in diesem Raum entwendet habt, lasst ihr hier, bevor ihr geht. Ihr setzt euch damit einer Gefahr aus, die ihr überhaupt nicht abschätzen könnt.«
»Entwendet?«, fragte Adrian im Tonfall eines Ahnungslosen, der mir Staunen abverlangte, und sah sich um, als wisse er gar nichts von dem Raum hinter dem Bild.
»Lass den Unsinn!«
»Bist du sicher, dass hier auch etwas verschwunden ist, wie bei Carl?«, meldete ich mich zu Wort. »Ehrlich gesagt hatten wir dich in Verdacht, seine Aktentasche genommen zu haben, da du dich an diesem Morgen so seltsam benommen hast.« Ratlos zuckte ich die Schultern. »Jedenfalls, wer immer in Carls Haus war, muss einen Schlüssel benutzt haben, denn es wurde nicht eingebrochen. Was ist denn hier gestohlen worden?« Suchend sah ich mich im Arbeitszimmer um.
Mein Vater ging mit keiner Silbe darauf ein. »Was habt ihr jetzt vor?«
»Finja hat angeboten, mir bei der Organisation der Beerdigung zu helfen«, meinte Adrian.
»Außerdem werde ich ihm Gesellschaft leisten, damit er in diesem Totenhaus nicht ganz allein ist.«
»Wann fliegst du zurück nach Berlin?«
»Gleich nach Carls Beerdigung.«
Mein Vater stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum. »Ich begleite euch zur Tür.«
Auf dem Weg durch die Halle hörte
Weitere Kostenlose Bücher