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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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dem auch Carl auf seinem Sterbebett gesprochen hatte. Wie hatte er sich ausgedrückt? Sie hätten Macht gewollt und dafür Tabus gebrochen.
    *
    Sie hatte es geschafft, sie war Alexander entkommen – mit nichts als den paar Sachen, die sie auf dem Leib trug, ihren Papieren und dem Geld. Im Nachhinein hätte sie nicht mehr sagen können, wie oft sie sich umgedreht hatte auf der Flucht vor dem Vater ihrer Tochter. Selbst den Zug hatte sie mehrmals gewechselt. Größere Umwege hatte vor ihr sicher noch niemand auf dem Weg von Hamburg nach Berlin gemacht.
    Und dann war sie in der geteilten Stadt angekommen und hatte sich auf die Suche nach einem Zimmer gemacht. Am Tag ihres neunzehnten Geburtstags fand sie eines in einer Wohngemeinschaft. Der möblierte Raum sah nicht viel besser aus als der, den sie gerade erst hinter sich gelassen hatte, aber das spielte keine Rolle. Wichtig war allein, dass ihr Name nicht am Klingelschild auftauchte und die anderen Mieter sie in Ruhe ließen.
    Selbst Wochen nach ihrem Einzug bildete Gesa immer noch einen Fremdkörper inmitten ihrer Mitbewohner. Fragen wich sie ebenso geschickt aus wie Freundschaftsangeboten. Sie gab sich verschlossen, um ihre tiefe Verstörtheit zu kaschieren. Nicht einmal ihrer direkten Zimmernachbarin, die ebenso sympathisch wie geduldig war, gelang es, Gesas Schutzschild zu durchbrechen.
    Zum Freund wurde ihr ein Schreibheft mit wunderschönem Fotoeinband, das ihr auf einem ihrer Streifzüge wegen seiner Ablichtung ins Auge gefallen war. Es zeigte den Tegernsee im Abendlicht. Gesa begann, diesem Tagebuch selbst kleinste Vorkommnisse anzuvertrauen. Anfangs geschah es nur aus dem Gefühl heraus, dringend einen Halt zu brauchen. Bis sie feststellte, dass es ihr einen noch viel größeren Dienst erwies. Es gab ihr die Gewissheit, bei dem, was sie sah und hörte, keiner Täuschung zu erliegen und nicht einen Traum mit der Wirklichkeit zu verwechseln.
    Einen Halt gab ihr auch die Arbeit, die sie nach langem Suchen endlich gefunden hatte. Ein Kirchenmaler hatte sie, ohne ihr allzu viele Fragen zu stellen, bei sich in die Lehre genommen. Sie dankte es ihm mit ebenso viel Gewissenhaftigkeit wie Zuverlässigkeit, zwei Eigenschaften, die ihr hin und wieder frotzelnde Kommentare der beiden anderen Lehrlinge eintrugen. Aber das scherte Gesa nicht weiter. Sie liebte die Atmosphäre in den Kirchen, die Stille, die Gerüche von abbrennenden Kerzen und von Weihrauch. Wann immer es jedoch darum ging, sich mit den anderen auch nach der Arbeit zu treffen, sagte Gesa nein, was ihr den Ruf von Unnahbarkeit einbrachte. Aber auch das berührte sie nicht.
    Abends und an den Wochenenden betrachtete sie jetzt oft Finjas Bilder, die sie aus der Erinnerung gemalt hatte und die so lange in der Mappe verborgen gewesen waren. Ein halbes Jahr alt war ihre Tochter gewesen, als sie sie zum letzten Mal gesehen hatte, als sie versucht hatte … Nein! Sie verbot sich jeden weiteren Gedanken daran. Ein Jahr war seitdem vergangen. Auf der Straße betrachtete sie Kinder in dem Alter, versuchte, sich Finja vorzustellen. Lief sie bereits an der Hand ihrer Schwester? Brabbelte sie einzelne Worte? Sagte sie Mama zu Freia?
    Es gab keine Antworten auf diese Fragen, nur Phantasien. Und die Hoffnung, dass sich die Ereignisse jener Nacht nicht in die Seele ihrer Tochter eingegraben hatten.

[home]
    14
    B eim Lesen der Mitschriften hatte ich alles andere um mich herum vergessen. Als sei ich die Dritte in dieser Gesprächsrunde, diejenige, die nur zuhörte und jedes einzelne Wort aufsaugte. Bis eine Stimme an mein Ohr drang, die mit jeder Sekunde drängender wurde.
    »Finja, komm endlich, dein Vater wird gleich hier sein. Ich habe gerade gehört, dass ein Wagen draußen vorgefahren ist.« Die Aktentasche unter dem Arm stand Adrian bereits im Türrahmen und schaute immer wieder in den Flur.
    Mit ein paar Schritten war ich bei ihm und drückte ihm den Ordner in die Hand. »Bring ihn hoch in mein Zimmer und warte dort auf mich!« Doch anstatt sich in Bewegung zu setzen, sah er mich zweifelnd an. »Beeil dich, ich komme gleich nach!«, insistierte ich und schubste ihn kurzerhand in den Flur hinaus. Dann schnappte ich mir meine Umhängetasche, lief damit zurück in den Tresorraum und warf eine willkürliche Auswahl von DVD s hinein. Ich wollte gerade gehen, als ich den Zipfel eines braunen Umschlags hinter einem der Stapel hervorragen sah. Ich zog ihn hervor. An einer Seite aufgerissen ähnelte er verdächtig dem, den

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