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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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ja unübersehbar, wie beruhigend das Geräusch dieser Nadeln auf ihn wirkte.« Meine Mutter hielt einen Moment inne, um sich ein Stück Melone in den Mund zu schieben. »Für die meisten Männer bist du austauschbar, Finja. Deshalb wird es auch nicht allzu lange dauern, bis Carl eine Neue findet. Und sie wird mit Sicherheit jünger als Cornelia sein.«
    Mir kam die Galle hoch. Cornelia war noch nicht einmal drei Tage tot, und meine Mutter regelte gedanklich bereits ihre Nachfolge. »Das ist ein Klischee.«
    »Ja, da gebe ich dir recht.« Es klang fast so, als freue sie sich über dieses Stichwort. »Und dieses Klischee wird da draußen Tag für Tag gelebt. Es ist Realität.« Sie trank einen Schluck Tee und stellte die Tasse geräuschlos zurück auf den Unterteller.
    Ich war kurz davor, auf den Tisch zu hauen. Trug ich an diesem Tag irgendein Mal auf der Stirn, das mich als realitätsfern kennzeichnete? Oder das dazu aufforderte, den eigenen Frust an mir auszulassen? Ich atmete tief durch, um meine Wut gar nicht erst wieder hochkochen zu lassen. Das, was ich am allerwenigsten brauchte, war eine Auseinandersetzung mit meiner Mutter. In dem Versuch, mich abzulenken, ließ ich den Blick zum gegenüberliegenden Ufer wandern. Dort lag das Tegernseer Schloss. Cornelia hatte es geliebt, in Bad Wiessee eines der Ausflugsboote zu besteigen und im Bräustüberl oder im Biergarten zu Mittag zu essen. Das war ihre Definition von Luxus gewesen. Das viele Geld, das Carl verdiente, hatte weder an ihren Grundeinstellungen noch an ihren Gewohnheiten etwas geändert. Wichtig war für sie stets nur gewesen, dass es ihrem Mann und ihren Jungs gutging. »Sie hätte nicht gewollt, dass Carl allein bleibt«, sagte ich nach einer Weile.
    »Ich habe sie immer beneidet. Um ihre Art zu lieben. Ohne irgendetwas dafür einzufordern. Sie war damit zufrieden. Verstehst du das?« Meine Mutter wischte sich über die von mir abgewandte Wange. Ihre Tränen konnte sie vor mir verbergen, das Zittern in ihrer Stimme nicht. »Sie hat überhaupt nichts aus sich gemacht.« Es klang wie ein Vorwurf. »Sah immer aus wie ein Hausmütterchen. Dabei hätte sie …«
    »Es hat ihr nichts bedeutet.« Cornelia hatte alle Anlässe gemieden, die sie gezwungen hätten, sich herauszuputzen. Es war ihr zu mühsam gewesen. »Dafür meine Energie verschwenden?«, hatte sie mich einmal lächelnd gefragt.
    »Und Carl hat es seltsamerweise auch nichts bedeutet. Als wäre er blind.« Meine Mutter faltete ihre Serviette zusammen und sah mich an. Schließlich straffte sie die Schultern. »Hast du etwas Angemessenes für die Beerdigung anzuziehen? Sonst fahre ich mit dir nach München, und wir kaufen etwas. Was meinst du?«
    »Nicht nötig, Mutter, danke. Ich habe etwas dabei.«
     
    Auch am Donnerstag zeigte sich keine einzige Wolke am Himmel. Da es in der Nacht kaum abgekühlt hatte, stieg die Temperatur bereits am Vormittag auf achtundzwanzig Grad. Nach dem Ausschlafen hatte ich Amelie angerufen, um mich wieder mit ihr zu vertragen und ihr meine Hilfe anzubieten. Aber es war bereits alles Nötige für die Beerdigung vorbereitet. Meine Schwester würde einen Ruhetag einlegen und sich für den kommenden Tag wappnen.
    Ich tat das, indem ich eine Erinnerung an Cornelia zuließ, die ich aus Scham über viele Jahre hinweg tief vergraben hatte. Es war kurz nach meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag gewesen, und ich war für die Osterfeiertage an den Tegernsee gekommen. Am Karfreitag hatten Adrian und ich in dem hinteren der Baumhäuser im Graszhoffschen Garten Amelie betrogen. Am nächsten Tag, einem sonnigen Apriltag, hatte seine Mutter mich auf eine Wanderung zur Schwarzentenn-Alm mitgenommen. Eine Stunde lang waren wir abseits des Wanderweges mit nackten Füßen durchs Gras gelaufen, waren durch den Bergbach gewatet und hatten dabei über Musik und mein Kunststudium geredet. Draußen vor der Almhütte hatten wir schließlich Spinatknödel gegessen und einträchtig unsere Gesichter in die Sonne gehalten. Auf dem Rückweg hatten wir viel miteinander gelacht. Dieses Lachen hatte noch in ihrem Gesicht gestanden, als sie sagte: »Du bist eine sehr liebenswerte junge Frau, Finja. Tief in ihrem Herzen weiß deine Mutter das. Dafür, dass sie es dir nicht zeigen kann, solltest du jedoch nicht deine Schwester bestrafen.« Mit keinem einzigen Wort hatte sie Adrian erwähnt. Trotzdem hatte ich keine Sekunde lang daran gezweifelt, dass sie alles wusste.
    Gedankenversunken ging ich diesen Weg

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