Die Todesbotschaft
Aber ging es dabei nicht viel eher darum, sich seiner Verantwortung zu stellen und vielleicht einem angeschlagenen Weltbild einen versöhnlichen Aspekt hinzuzufügen?
Eine Stunde später ruderten Amelie und ich in unserem alten Holzboot auf den See hinaus, während Carl und Adrian einen Termin mit dem Bestatter wahrnahmen. Meine Schwester hatte ihre Haare zu einem lockeren Knoten gebunden. Sie trug eine dieser riesigen Mickey-Mouse-Sonnenbrillen und ein enges schwarzes Minikleid mit Spaghettiträgern.
Anfangs war sie noch völlig überdreht, bis sie sich nach einer Weile Zeit nahm, um zwischen den einzelnen Sätzen Luft zu holen. Als sie Spekulationen darüber anstellte, wie das Unfallauto und die Leichen ausgesehen haben mussten, bat ich sie, das Thema zu wechseln und mir stattdessen ein Ultraschallfoto ihres Kindes zu zeigen. Sie zog es aus einem Täschchen, das neben ihr auf der Holzbank lag, und warf einen langen Blick darauf, bis sie es in die Höhe hielt. Ich hob die Ruder aus dem Wasser und betrachtete dieses winzige Etwas, das in ein paar Monaten das Leben meiner Schwester und meines Schwagers auf den Kopf stellen würde.
Nachdem sie das Bild wieder in die Tasche geschoben hatte, hielt sie mir ein Paar kunterbunte Minisöckchen vor die Nase und erzählte, Cornelia habe sie noch am selben Tag gestrickt, als sie und Carl von der Schwangerschaft erfahren hätten. »Carl hat sich ein wenig über sie lustig gemacht, als sie uns die Söckchen gab. Er meinte, wir sollten schon mal eine Truhe anschaffen. Bis zur Geburt sei sie sicherlich voll mit diesen Dingern.« Amelie betrachtete die kleinen Teile und schüttelte den Kopf. »Und jetzt …?«
Jetzt kamen auch mir schon wieder die Tränen. Ich ließ die Ruder zurück ins Wasser gleiten und konzentrierte mich mit aller Macht auf das Boot, das uns nach zwanzig Jahren immer noch gute Dienste leistete. Amelie und ich waren die Einzigen, die es benutzten. Für unseren Vater, der gemeinsam mit seinen drei Partnern von
BGS&R
und einem Steuermann während Studienzeiten sehr erfolgreich die Mannschaft eines Vierers gestellt hatte, kam es weder als Fortbewegungsmittel noch als Sportgerät in Frage. Wenn sein Blick überhaupt einmal darauffiel, schien er sich zu fragen, wie es das Ding überhaupt in seine Nähe geschafft hatte. Als würde man jemandem, der einmal ein Rennpferd geritten hatte, einen Ackergaul vor die Tür stellen. Wäre es nach ihm gegangen, wären wir schon als Kinder in seine Fußstapfen getreten und hätten mit dem Rudern als Leistungssport begonnen – mit Disziplin, Ehrgeiz und Ausdauer, wie er uns zu predigen pflegte. Dass es diesen drei Worten gelingen würde, uns in die Flucht zu schlagen, hatte er völlig unterschätzt. Bei dem Gedanken daran musste ich lächeln.
Ein wenig außer Atem vom Rudern machte ich eine Pause. Ich hielt mein Gesicht in die leichte Brise und schloss die Augen.
»Wie lange willst du es noch in Berlin aushalten?«, fragte Amelie.
»Sehr lange. Ich liebe diese Stadt! Ihr Brodeln, ihre Inhomogenität, ihren …«
»Bist du verliebt?«, unterbrach sie mich.
Ich öffnete die Augen. »Wie kommst du denn darauf?«
»Weil deine Beschreibung so schwärmerisch klingt.«
»Für Berlin lässt es sich ja auch schwärmen«, wich ich aus.
Sie grinste. »Verstehe.«
Ich deutete auf ihren kleinen Bauch, der in dem engen Kleid nicht zu übersehen war. »Weißt du, was es wird?«
»Das ist uns beiden egal. Ich hoffe, dir auch, du wirst nämlich Patentante.«
»Nimm lieber jemanden, der in eurer Nähe lebt. Warum fragst du nicht Kerstin?« Kerstin Schormann war Amelies beste Freundin und die Tochter von Johannes Schormann, dem dritten im Partnerbunde.
»Sie werde ich in jedem Fall auch fragen. Aber ich möchte auch dich.«
»Wie sollen denn euer Kind und ich eine Beziehung aufbauen? Ich bin doch viel zu selten hier.«
»Dann kommst du in Zukunft eben öfter. Du weißt, du kannst immer bei uns in München wohnen.«
»Wie wirst du es mit deinem Job halten, wenn das Baby da ist?«, fragte ich, um sie von dem Patinnenthema abzubringen.
Sie lehnte sich im Boot zurück und pflügte mit einer Hand durchs Wasser. »Paps hat mir vorgeschlagen, in die Detektei einzusteigen.«
Ich sah sie erstaunt an. Amelie war vor zwei Jahren in einer renommierten Münchener Anwaltskanzlei untergekommen. Sie hatte sich gegen weit über hundert andere Bewerber durchgesetzt und ihren Erfolg ausgiebig gefeiert.
»Ich werde dort aufhören«, meinte
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