Die Todesbotschaft
diesem Brief erzählt hast, habe ich tatsächlich geglaubt, der sei von einem Spinner.«
Ich streifte die Asche im Aschenbecher ab. »Ich denke, es geht entweder um Erpressung oder Rache. Aber weder aus meinem Vater noch aus Carl ist etwas herauszubekommen. Sie wollen die Sache selbst in die Hand nehmen. Ist das nicht absurd? Vier Männer, die längst im Rentenalter sind und sich jahrzehntelang auf Wirtschaftsverbrechen spezialisiert haben.«
»Was heißt die Sache selbst in die Hand nehmen?«
»Mein Vater meinte,
BGS&R
habe ermittlungserfahrene Mitarbeiter, die sich darum kümmern würden.«
Jetzt brach sich Eva-Maria doch ein Stück Schokolade ab und schob es in den Mund. »Das heißt, sie tappen völlig im Dunkeln, oder?« Sie sah mich besorgt an und zog dabei die Schultern hoch, als friere sie. »Könntest du nicht ins Ausland gehen, bis sichergestellt ist, dass dieser entsetzliche Spuk ein Ende hat? Wer immer hinter den Todesfällen steckt, meint seine Drohungen ja ganz offensichtlich ernst.«
»Und er muss sich mit unseren Familienverhältnissen sehr gut auskennen.« Ich nahm einen Schluck Wein und drehte das Glas zwischen meinen Händen. »In Amelies Todesanzeige stand, ich sei ihre Halbschwester und …«
»Was?«, entfuhr es Eva-Maria. »Was stand da?« Sie machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf, als habe sie sich verhört.
Ich drückte die Zigarette aus. »Da stand, ich sei ihre Halbschwester. Als ich meinen Vater darauf ansprach, hat er es zunächst als Spinnerei abgetan. Trotzdem hat es mir keine Ruhe gelassen, und ich bin zu Elly gefahren.«
Während ich Eva-Maria erzählte, was ich über meine leibliche Mutter erfahren hatte, schüttelte sie immer wieder den Kopf. »Wie ist sie gestorben?«, fragte sie schließlich.
»Mein Vater meinte, er wisse nicht, ob es ein Suizid oder ein Unfall war. Sie hat wohl im Bett geraucht und dadurch einen Brand verursacht, bei dem sie umgekommen ist. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand auf diese Weise umbringt. Andererseits …« Ich machte eine Pause und sah durchs Fenster in den Hof, wo der Kater aus dem Erdgeschoss dem Studenten, der über mir wohnte, um die Beine strich und sich von ihm kraulen ließ. »Andererseits hat sie auch versucht, ihr Baby mit einem Kissen umzubringen.«
Eva-Maria stand auf und lief in der Küche umher, wobei sie mit den Fingern über alle möglichen Gegenstände strich. »Starker Tobak«, sagte sie. »Und sehr traurig. Was für eine unglückliche junge Frau sie gewesen sein muss.«
»Ich hätte so gerne ein Foto von ihr gesehen, um eine Vorstellung von ihr zu bekommen, aber mein Vater sagte, es gebe keine.«
»Deine Mutter wird sie vernichtet haben.«
Ich schob mir noch ein Stück Schokolade in den Mund. »Weißt du, was seltsam ist, Eva? Als ich all das erfahren habe, war ich irgendwie auch erleichtert. Weil etwas Schwelendes, nicht Fassbares endlich in eine Form gefunden hat. Natürlich hat es mich ziemlich mitgenommen, aber es hat mich nicht wirklich überrascht. Irgendwie wusste ich immer, dass es einen Grund geben muss, warum meine Mutter eine unsichtbare Wand zwischen uns beiden errichtet hat. Nur dafür, dass meine leibliche Mutter versucht hat, mich umzubringen, finde ich keine Entsprechung. Dass sie mir ein Kissen aufs Gesicht gedrückt hat, müsste doch Spuren in mir hinterlassen haben.«
Eva-Maria stoppte ihre Wanderung, setzte sich wieder und schüttelte den Kopf. »Du warst ein Baby, du konntest die Situation doch gar nicht begreifen.«
»Meinst du nicht, dass ein Baby, das keine Luft mehr bekommt, in Todesangst verfällt?«
Sie sah mich irritiert an. »Worauf willst du hinaus?«
»Bisher war ich immer überzeugt, dass alles im Leben Spuren hinterlässt und dass in jedem Menschen ein unbewusstes Wissen darüber existiert.«
»Ja, und häufig bleibt dieses Wissen eben auch unbewusst. Es gibt viele, die sich an traumatische Ereignisse in ihrem Leben nicht mehr erinnern können, weil sie sie auf die eine oder andere Weise verdrängt haben. Möglicherweise gibt es nämlich auch eine unbewusste Weisheit darüber, wie viel du selbst ertragen kannst. Wenn du mich fragst, dann lass die Sache ruhen. Du hast großes Glück gehabt, dass du das damals überlebt hast. Ich an deiner Stelle wäre dankbar und würde versuchen, ihr zu verzeihen.«
Aber ich konnte das Thema nicht so schnell abhaken wie Eva-Maria. »Könntest du dein eigenes Kind umbringen?«
»Du weißt doch gar nicht, in welcher
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