Die Todesbotschaft
bitte!«, fuhr er sie an und wich ihr aus. »Meinst du nicht, du hättest genug angerichtet?«
Erschreckt zuckte sie zusammen. »Ja … sicher …«, stammelte sie. »Aber Doktor Radolf sagt, dass ich stabil bin, dass ich Ende nächster Woche entlassen werde. Dann kann ich endlich wieder bei dir und Finja sein.« Sie forschte in seinem Gesicht, ob sich dort nicht wenigstens ein Hauch der Vorfreude spiegelte, die sie empfand. Aber da war nichts außer Groll. Das Atmen fiel ihr schwer. Wie sollte sie ihm nur klarmachen, dass doch noch alles gut werden konnte, wenn er ihr nur verzieh?
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Hör mir gut zu, Gesa, ich werde mich nicht wiederholen: Solltest du dich Finja jemals wieder nähern, und sei es nur für Sekunden, werde ich dafür sorgen, dass du wegen versuchten Mordes für die nächsten Jahre hinter Gittern landest. Hast du mich verstanden?«
Gesa wurde es kalt. Sie erstarrte. »Aber Finja ist meine Tochter, deine und meine, sie …«
»Sie ist besser dran ohne eine Mutter, die versucht hat, sie umzubringen.«
Es war unendlich schwer, sich aus dieser Starre zu lösen. Mehr als ein Kopfschütteln brachte sie nicht zustande.
»Ich habe in der besagten Nacht nur deshalb nicht die Polizei gerufen, weil ich verhindern möchte, dass meine Tochter mit einem solchen Makel aufwächst. Allerdings werde ich auch zu verhindern wissen, dass sie mit dir aufwächst. Schon in dem Moment, als du das Kissen in die Hand genommen hast, hast du jedes Recht auf sie verwirkt.«
»Das kannst du nicht tun«, brach es aus Gesa heraus. Um sie herum schien sich alles zu drehen. »Du kannst mir doch mein Kind nicht wegnehmen.«
»Darf ich dich daran erinnern, dass du diejenige warst, die diesem Kind das Leben nehmen wollte? Wäre ich nicht dazugekommen, würde es keine Finja mehr geben.«
Gesa fühlte sich, als würde ihr Leben zum zweiten Mal zu Bruch gehen. Als stünde sie vor Scherben, die kein Kleister der Welt je wieder würde kitten können. »Was soll denn jetzt werden?«
»Ich werde dir Geld geben, um woanders neu anzufangen. Mehr kannst du von mir nicht erwarten.«
»Wie soll das denn gehen … ein Leben ohne Finja?«
»Diese Frage stellst du dir tatsächlich erst jetzt?«
»Wie geht es ihr? Wo ist sie? Was …?«
»Ihr geht es gut. Sie ist bei Freia und mir. Wir werden sie als unsere Tochter großziehen. Und wenn du dich an unsere Abmachung hältst, wird sie nie erfahren, was du getan hast.«
Gesa knickten die Knie ein. Sie stützte sich an dem Baumstamm ab. »Ich soll mein Kind nie wiedersehen?«
»Du wirst dein Kind nie wiedersehen!« Der Blick, den er ihr zuwarf, bohrte sich in ihre Haut wie ein Pfeil, der mit einem schnell wirkenden Gift versehen war.
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9
A melies Beerdigung zwei Tage später prägte sich mir ein wie ein Film. Später würde ich im Geiste auf einen Knopf drücken und ihn abspulen können. Es war ein Film ohne Ton – als habe ich der Beerdigungszeremonie mit tauben Ohren beigewohnt, um damit wenigstens einen meiner Sinne auszuschalten. Während ich neben Adrian stehend Sand und Blumen auf ihren Sarg warf, spürte ich tief in mir einen unfassbaren Schmerz. Mein Schwager und ich versuchten, uns gegenseitig Kraft zu geben, und hielten uns an den Händen. Als wir zur Seite traten, um meine Eltern vorzulassen, bückte ich mich, hob einen kleinen, flachen Stein auf und ließ ihn in meine Tasche fallen. Dann drückte ich noch einmal Adrians Hand und flüsterte ihm zu, dass ich jetzt gehen und ihn von Berlin aus anrufen würde.
Nach einem letzten Blick auf Amelies offenes Grab löste ich mich aus der Gruppe der Trauernden und ging den von der Sonne beschienenen schmalen Kiesweg entlang. An seinem Ende standen die beiden Kriminalbeamten, die im Haus meiner Eltern gewesen waren und denen ich gestern im Kommissariat noch einige Fragen beantwortet hatte: Ob es abgesehen von dem Brief unter der Windschutzscheibe noch besondere Vorkommnisse gegeben habe? Ob meine Schwester mit jemandem Streit gehabt habe? Ob sie sich durch irgendjemanden bedroht gefühlt habe? Ob sie möglicherweise ein Verhältnis mit einem anderen Mann gehabt habe? Mein Nein war gebetsmühlenartig gekommen. Ebenso wie ihres auf meine Fragen: Ob die Ermittlungen zu dem Graszhoffschen Unfall wieder aufgenommen würden? Ob sich bei Kerstins vermeintlichem Unfall Verdachtsmomente ergeben hätten? Ob sie bei einer solchen Häufung von Unfällen nicht endlich mal grundsätzlich Verdacht
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