Die Todesbotschaft
besser fühlte, vergegenwärtigte ich mir aus der Erinnerung alles, was mit den mysteriösen Todesfällen in Zusammenhang stehen konnte. Ich hatte an Carls Arbeitszimmertür gelauscht und gehört, wie Kerstins Vater sagte, sie hätten den ersten Brief nicht als üblen Scherz abtun dürfen. Carl hatte gebrüllt, wer immer hinter diesen Briefen stecke, habe die beiden umgebracht. Er und Johannes hatten eine Front gegen meinen Vater und Tobias gebildet, die keinerlei Beweise für ein Verbrechen sahen. Nichtsdestotrotz müsse Schluss sein mit diesen Briefen, hatte Tobias gesagt und versprochen, er werde mal einen seiner Leute darauf ansetzen.
»Einen
seiner
Leute«, murmelte ich vor mich hin. Mein Vater sprach stets nur von
unseren
Leuten.
Und noch etwas fiel mir ein. Johannes hatte Tobias gefragt, ob er gerade etwas Brisantes am Laufen habe. Und dann hatte Johannes nach einem Brand gefragt.
Ich rief Adrian auf seinem Handy an und fragte ihn, ob er ungestört sprechen könne. Als ich gerade loslegen wollte, hörte ich seinen Vater im Hintergrund reden.
»Kannst du bitte hinausgehen, so dass er nicht mithören kann?«, bat ich ihn.
Adrian meinte resigniert, sein Vater sei wieder mal völlig zugedröhnt und werde ganz bestimmt nichts mitbekommen. Trotzdem erklärte er sich bereit, auf die Terrasse zu gehen. Wenige Sekunden später hörte ich an dem Vogelgezwitscher, dass er draußen war.
Obwohl ich mir die Antwort vorstellen konnte, fragte ich ihn, wie es ihm gehe. Von sich selbst erzählte er so gut wie nichts, dafür umso mehr über den Zustand seines Vaters. Er habe den Eindruck, der versuche, sich mit Unmengen von Whiskey in Raten den Todesstoß zu versetzen. »Und wenn er dann zwischendurch mal nüchtern ist«, meinte er in einem resignierten Tonfall, »hämmert er ununterbrochen etwas in seinen Laptop.«
»Und was?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Was wolltest du mit mir besprechen, was mein Vater nicht hören darf?«
»Weißt du, ob Tobias eigene Leute beschäftigt?«
»Ganz sicher nicht«, antwortete er, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachdenken zu müssen. »Alle vier Partner greifen auf dieselben Leute zu. Einige sind fest angestellt, wir beschäftigen aber auch jede Menge freie Mitarbeiter.«
»Was könnte er damit gemeint haben, als er sagte, er setze
seine
Leute darauf an? Wenn sie tatsächlich alle auf dieselben Mitarbeiter zugreifen, warum dann diese Abgrenzung?«
»Da hast du vielleicht einfach etwas falsch verstanden.«
In diesem Moment erinnerte ich mich an etwas, dem ich bisher in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zugemessen hatte. Das ich als Tagesgeschäft in dem ganz speziellen Metier unserer Väter abgetan hatte. »Mein Vater hat zu Tobias am Telefon gesagt, dessen Abteilung sei die einzige, die ihnen wirklich gefährlich werden könne.«
Adrian schwieg. Sekundenlang war nur sein Atmen zu hören, das sich in das Vogelgezwitscher im Hintergrund mischte. »Ich kann mir das nicht erklären«, meinte er schließlich.
»Du nimmst doch sicher hin und wieder an den Partnermeetings teil. Hat es da schon einmal ähnliche Andeutungen gegeben?«
»Nein, nie. Daran würde ich mich sicher erinnern.«
»Und weißt du etwas über einen Brand? Irgendwo muss es einen Brand gegeben haben.«
Von drinnen schrie Carl nach Adrian, woraufhin mein Schwager seinen Vater um einen Moment Geduld bat. »Ich könnte mich im Büro umhören. Ich melde mich bei dir, ja?«
Ich legte das Handy beiseite, schaltete den Laptop ein und lud die Internetseite von
BGS&R
hoch. Kaum hatte sich die Seite geöffnet, wurde mir bewusst, wie lange es her war, dass ich sie mir zuletzt angesehen hatte. Was ich hier las, ließ mich an meine Unterhaltung mit Amelie während unseres Bootsausflugs denken. Die Detektei präsentierte sich im Internet als Unternehmen, das auf einen Pool von Experten zurückgreifen konnte, um gegen Korruption, Wirtschaftsspionage, Wettbewerbsverletzungen, Versicherungsbetrug, Erpressung und Schwarzarbeit zu ermitteln. Mit seiner Abteilung Erbensuche schien mein Schwager bei
BGS&R
eine kleine sonnige Insel in einem Meer voller Schmutz zu bewohnen.
Während ich auf den Bildschirm starrte, saugte sich mein Blick an dem Firmennamen fest. Die einzelnen Buchstaben standen für Benthien, Graszhoff, Schormann und Rech. Die Partner hatten sich für diese Form des Firmennamens entschieden, um sich in diesem sensiblen Gewerbe dezent im Hintergrund zu halten. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich mir nie
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