Die Todesgruft von Bally Moran
an; Peggy schien es eine Ewigkeit, und ihr war, als würde jeder von ihnen den Atem anhalten. Dann aber schob er abrupt den Stuhl zurück und stand auf.
»Sie sind müde. Ich werde jetzt gehen.«
Sie gingen schweigend durch die Halle. An den Stufen zum Eingang blieb er stehen. »Sie brauchen nicht noch weiter mitzukommen. Ich finde meinen Weg schon allein.« Er blickte stirnrunzelnd zu ihr hinunter. »Und noch eins, Peggy. Ich weiß, daß Sie mir ein bißchen böse waren, weil ich gesagt habe, Sie sollten Jesse allein entscheiden lassen. Aber wenn einer eine lebenswichtige Entscheidung zu treffen hat, dann soll man es ihn allein tun lassen. Selbst wenn Jesse Sie um Rat fragen sollte, mischen Sie sich nicht ein. Dann kann sie Ihnen später auch keinen Vorwurf machen, wenn etwas anders läuft, als sie dachte.«
Peggy schluckte eine heftige Entgegnung hinunter. Was wollte sie eigentlich? Sie hatte ihn gefragt, was sie tun sollte, und er hatte ihr eine Antwort gegeben. Es war nicht seine Schuld, wenn sie nicht so ausfiel, wie es ihr behagte. Sie hatte gehofft, er würde ihr raten, Glen zu benachrichtigen. Aber vielleicht hatte er recht, und sie sollte das tun, was sie von Anfang an vorgehabt hatte, nämlich Jesse Gesellschaft leisten und ihr bei der Ausführung ihrer Pläne helfen.
Und dann war er mit dem Versprechen, morgen wiederzukommen, gegangen. Sie lauschte, wie sich seine Schritte in dem langen Gang zur Tür langsam entfernten und hörte, wie sich dumpf die Tür schloß. Es war plötzlich sehr still in Bally Moran, unerträglich still. Sie strengte die Ohren an, um wenigstens etwas zu hören: das Rauschen der Bäume draußen, ein Ächzen im Gebälk oder das Rascheln einer Maus. Aber da war nichts als grenzenlose Stille zwischen den grauen Mauern, in der spärlich beleuchteten Halle.
Noch vor wenigen Minuten hatte sie Dan geantwortet, daß sie nicht an ein Weiterleben von Geschehnissen aus der Vergangenheit glaube, und jetzt stand sie hier und wagte kaum die dunkle Treppe hinaufzusteigen. Du wirst noch durchdrehen, Peggy, schalt sie mit sich selbst, und wenn du nicht vernünftig wirst, siehst du bald wie Jesse überall Gespenster. Sie kämpfte den Wunsch, sich zu eilen, nieder und stieg langsam, Stufe für Stufe, die Treppe hinauf.
Jesse schlief friedlich, als sie es endlich geschafft hatte und die
Schlafzimmertür hinter sich schließen konnte. Ich werde bei ihr schlafen, beschloß Peggy. Dann bin ich gleich bei ihr, wenn sie aufwachen und nach mir rufen sollte. Sie zog sich rasch in ihrem Zimmer den Schlafanzug an und schlüpfte neben Jesse in das breite Bett. Wenn sie ehrlich war, mußte sie sich zugeben, daß sie nicht nur wegen Jesse hier lag, sondern auch um ihres eigenen Friedens willen, und weil sie im tiefsten Innern Furcht vor der Nacht hatte.
Sie war gerade dabei, einzuschlafen, als ihr einfiel, daß es besser wäre, die Tür abzuschließen. Aber sie konnte sich nicht sofort dazu aufraffen, sie war zu erschöpft, und im nächsten Augenblick war sie in tiefen Schlaf gesunken.
Eine Hand packte Peggys Arm, Fingernägel gruben sich schmerzhaft ins Fleisch. Sie fuhr schlaftrunken hoch, doch noch bevor sie die Augen richtig öffnen konnte, hielt ihr Jesses andere Hand den Mund zu.
»Schau doch!« wisperte ihr Jesse ins Ohr. Peggy blickte zu der Stelle, auf die Jesse deutete, und sah zunächst nichts als den Kamin und das Kamingeschirr. Dann fing eine Bewegung ihren Blick auf. Der Schürhaken hing merkwürdigerweise nicht im Halter, sondern lag vor der Feuerstelle, rollte ein Stück zur Seite, blieb liegen und rollte dann noch einmal ein Stückchen. Peggy stockte der Atem, sie starrte steif vor Schreck zusammen mit Jesse auf den Schürhaken. Aber soweit sie es im schwachen Licht der roten Nachtlampe in einer Ecke des Zimmers erkennen konnte, bewegte er sich nicht mehr. Und nach einer gewissen Zeit fragte sich Peggy, ob er sich überhaupt bewegt hatte. Vielleicht hatte ein Flackern des Lichtes ihnen das nur vorgetäuscht.
Jesse holte tief Luft. »Du hast es auch gesehen, nicht?«
»Ja, es sah so aus, aber... « Peggy schlug die Bettdecke zurück, ging zum Kamin und hob den Schürhaken auf.
»Er hat sich bestimmt bewegt.«
»Wie kommt er eigentlich hierher?«
»Ich wollte Feuer machen. Aber es wollte einfach nicht brennen.«
»Ach so!« Peggy wurde es fast übel vor Erleichterung. Ein Schürhaken, der auf dem Boden lag und ein bißchen hin und her rollte, war längst nicht so unheimlich wie einer,
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