Die Todesgruft von Bally Moran
Jesse zentimeterweise aus dem Zimmer zu zerren. Sie wußte nicht, woher sie die Kraft dazu nahm, und sie betete, daß Jesse zu sich kommen möge, wenn sie sie einmal im anderen Zimmer hatte. Vielleicht konnte sie dann sogar wieder selbst laufen.
Sie schleifte sie mit einem verzweifelten Ruck über die Schwelle, aber es änderte sich nichts. Jesse blieb steif und kalt, und nur die schrecklichen Laute, die sie ausstieß, sagten Peggy, daß sie noch lebte. Sie mußte sie das endlos lange Stück zum Rosenzimmer schleppen, wo sie sie mit letzter Kraft aufs Bett hieven wollte. Aber sie war zu ausgelaugt, sie schaffte es nicht mehr. Schließlich zog sie die Decken vom Bett und rollte Jesse darin ein. Damit nicht genug, stellte sie den elektrischen Heizofen in fast gefährliche Nähe und schaltete ihn ein. Mit vor Kraftlosigkeit und Kälte ungeschickten Händen versuchte sie, Leben in Jesses Hände und Füße zu massieren. »Oh, mein Gott! Oh, mein Gott!« murmelte sie immer und immer wieder, ohne daß sie sich dessen bewußt war. Als auch das nicht helfen wollte und die Verkrampfung wie auch der Schüttelfrost nicht nachlassen wollte, fiel Peggy der Whisky ein. Er stand noch auf dem Schränkchen in der Ecke.
Jesses Zähne schlugen gegen den Flaschenrand, und das meiste der Flüssigkeit floß neben dem Mund auf den Schlafanzug, und dann verschluckte sich Jesse auch noch. Peggy stellte hastig die Flasche ab und klopfte Jesse auf den Rücken. Dann versuchte sie es noch einmal, und diesmal schluckte Jesse den Whisky hinunter.
Peggy hockte neben ihr und wartete angstvoll, daß endlich Farbe in Jesses bleiches Gesicht zurückkäme. Endlich war es soweit. Die Wangen färbten sich und erinnerten nicht mehr an das Gesicht einer Toten, die fast durchsichtigen Lider flackerten, und Peggy atmete dankbar auf.
»Warum bist du in das leere Zimmer gegangen?« frage sie, sowie Jesse die Augen öffnete.
»Davon weiß ich nichts – ich ...« Die Worte waren nur gehaucht, aber sie konnte mit Peggys Hilfe wenigstens aufstehen und sich ins Bett legen. Dort sank sie vor Schwäche sofort in tiefen Schlaf.
Peggy beobachtete sie lange, aber sie schlief nun wirklich ruhig und fest. War Jesse also auch im Schlaf gewandelt? Hielt etwas Teuflisches aus der Vergangenheit die beiden gefangen? Kein Spuk, versicherte sie sich hastig, aber eine schreckliche Macht – ja, das war das richtige Wort -, die in den Mauern lauerte und nicht sterben konnte. Sie war zu erschöpft, um weiterzudenken, die Nacht schien kein Ende zu nehmen. Wann mochte wohl die Sonne aufgehen? Sie hatte noch nie so inbrünstig den Tag herbeigesehnt. Auf jeden Fall durfte sie nicht mehr einschlafen. Sie würde sich auf einen harten Stuhl neben Jesses Bett setzen und Wache halten.
Sie holte aus dem Schrank einen warmen Schlafrock und warme Hausschuhe, verriegelte beide Türen und setzte sich entschlossen, die Augen aufzuhalten, auf den unbequemen Stuhl.
Peggy merkte erst, daß sie doch eingenickt war, als sie mit einem Ruck erwachte. Sie rieb sich den schmerzenden Nacken und blickte schuldbewußt zum Bett. Jesse schien fest und traumlos zu schlafen, denn sie lag noch genauso da wie vorhin. Dann sah sie zum Fenster und stellte mit Befriedigung fest, daß es endlich Tag wurde. Peggy stand rasch auf, öffnete leise das Fenster und lehnte sich hinaus. Dicke Wolken hingen am Himmel und weißer, naßkalter Dunst drang ins Zimmer, benetzte ihr Gesicht und das Haar, so daß sich die Haarspitzen sofort zu kringeln begannen.
Ohne anfangs zu wissen warum, horchte sie angestrengt nach draußen. Dann erkannte sie, daß es die unheimliche Stille war, die sie nicht wahrhaben wollte. Nicht ein Vogel zwitscherte in dieser vom Nebel verschleierten Landschaft, kein Lüftchen bewegte ein Blatt oder einen Zweig, nur weiße, lautlose Nebelwolken, wohin sie auch schaute. Sie schienen jedes Geräusch zu verschlucken und machten Bally Moran zu einer einsamen Insel in einem endlos wogenden Nebelmeer. Peggy fröstelte und schloß das Fenster.
In dem Augenblick, als sie sich umwandte, sah sie das Lämpchen. Aladdins Wunderlämpchen, so sah es aus. Der bauchige Ölbehälter ruhte auf einem graziösen hohen Fuß, auf der einen Seite ein hübscher Henkel und auf der anderen – sie konnte es fast nicht glauben – tanzte eine schwache Flamme über dem Schnäuzchen. Hatte es schon dagestanden, als sie zum Fenster getreten war? Es stand hinter dem Stuhl, war also leicht zu übersehen gewesen.
Peggy näherte
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