Die Todesliste
Ehe an sich, sondern wegen des Mädchens, das er heiratete.
Mit fünfundzwanzig und noch ledig war er 1979 für kurze Zeit am Siachen-Gletscher stationiert gewesen, in einer trostlosen Wildnis im hohen Norden seines Landes, kurz vor der Grenze zu Pakistans Todfeind Indien. Später, zwischen 1984 und 1999, sollte es einen unterschwellig schwärenden Grenzkrieg am Siachen geben, aber damals war es dort nur kalt und trist, ein sogenannter Härteposten.
Ali Schah, zu der Zeit noch Lieutenant, war Pandschabi wie die Mehrheit der Pakistani, und wie seine Eltern nahm er an, er werde »gut« heiraten, vielleicht die Tochter eines höheren Offiziers, was seine Karriere befördern würde, oder die eines reichen Kaufmanns, was gut für sein Konto wäre.
So oder so könnte er von Glück sagen, denn ein aufregender Mann war er nicht. Er war einer von denen, die Befehle buchstabengetreu befolgen – konventionell, orthodox und mit der Fantasie eines chapati . Doch in diesen zerklüfteten Bergen begegnete er einem einheimischen Mädchen von berückender Schönheit namens Soraya, und er verliebte sich in sie und heiratete sie ohne die Erlaubnis oder den Segen seiner Familie.
Ihre Familie war hocherfreut, denn sie nahm an, die Verbindung mit einem Armeeoffizier werde den Aufstieg bringen, die Umsiedlung in eine der großen Städte in der Ebene, vielleicht ein großes Haus in Rawalpindi oder sogar in Islamabad. Doch leider war Muscharraf Ali Schahs Leben eine Ochsentour. Im Laufe von dreißig Jahren stapfte er bis hinauf zum Rang eines Lieutenant Colonel, und es war klar, dass er höher nicht kommen würde. 1980 wurde ein Junge geboren und Zulfikar getauft.
Lieutenant Ali Schah gehörte zu den Panzergrenadieren, und als er 1976 Offizier wurde, war er einundzwanzig. Nach seinem ersten Einsatz am Siachen kehrte er mit einer hochschwangeren Frau zurück und wurde zum Captain befördert. Er bekam ein sehr bescheidenes Haus im Offiziersquartier in Rawalpindi zugeteilt, dem wenige Meilen außerhalb der Hauptstadt Islamabad gelegenen Militärkomplex.
Weiteres schockierendes Verhalten gab es nicht. Wie alle Offiziere in der pakistanischen Armee wurde er alle zwei oder drei Jahre wieder versetzt, und die Posten wurden nach »harten« und »weichen« unterschieden. Die Stationierung in einer Stadt wie Rawalpindi, Lahore oder Karatschi galt als »weich« und »mit Familie«. Die Abkommandierung in die Garnison von Multan, Kharian oder Peschawar am Schlund des Khaiberpasses nach Afghanistan oder in das Taliban-verseuchte Swat-Tal galt als »hart«, und die Offiziere wurden nicht von ihrer Familie begleitet. Der Junge Zulfikar besuchte die jeweiligen Schulen.
In jeder pakistanischen Garnisonsstadt gibt es Schulen für die Kinder der Offiziere, doch es gibt sie auf drei verschiedenen Ebenen. Auf der untersten Ebene sind die staatlichen Schulen, dann kommen die öffentlichen Schulen des Militärs, und für diejenigen, deren Familien über die nötigen Mittel verfügen, gibt es die privaten Eliteschulen. Von seinem sehr bescheidenen Sold abgesehen, hatte Ali Schahs Familie kein Geld, und Zulfikar ging auf die Schulen der Armee. Sie gelten als gut geführt, viele Offiziersfrauen arbeiten dort als Lehrerinnen, und sie kosten nichts.
Der Junge beendete die Schule mit fünfzehn und ging auf das College der Armee, wo er auf Anordnung seines Vaters ein Ingenieursstudium aufnahm. Mit so einer Ausbildung würde er automatisch Aufnahme in der Armee finden und Offizier werden. Das war 1996. Im dritten Studienjahr bemerkten die Eltern, dass mit ihrem Sohn eine Veränderung vorging.
Ali Schah, inzwischen Major, war natürlich Muslim, praktizierend, aber nicht leidenschaftlich fromm. Es wäre undenkbar gewesen, nicht jeden Freitag in die Moschee zu gehen oder an den rituellen Gebeten teilzunehmen, wenn und wie es gefordert wurde. Doch das war alles. Aus Prestigegründen trug er gewohnheitsmäßig seine Uniform, aber wenn er Zivil tragen musste, war es die Landestracht der Männer – eine enge Hose und eine lange, vorn geknöpfte Jacke, die zusammen als Salwar Kamiz bezeichnet werden.
Er bemerkte, dass sein Sohn sich einen zotteligen Bart wach sen ließ und die gehäkelte Schädelkappe der Frommen trug. Zulfikar kniete die erforderlichen fünfmal am Tag zum Gebet, und wenn sein Vater einen Whisky trank, das Getränk des Offizierscorps, zeigte er sein Missfallen, indem er aus dem Zimmer stürmte. Seine Eltern hielten diese Frömmigkeit und die intensive
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