Die Todesliste
er ist?«, fragte der Mediziner.
»Yep.«
»Na, da wissen Sie mehr als ich. Aber vielleicht kann ich Sie trotzdem noch überraschen.«
Er zog das Laken bis zu den Füßen herunter.
»Fällt Ihnen was auf?«
Ray Hall schaute lange und aufmerksam hin.
»Er hat keine Körperbehaarung. Nur den Bart.«
Der Arzt zog das Laken wieder hoch und nickte dem Assistenten zu, damit der den Tisch mit seiner Fracht in den Kühlraum schob.
»Mit eigenen Augen habe ich es noch nie gesehen, wohl aber im Film. Vor zwei Jahren, in einem Seminar über islamischen Fundamentalismus. Ein Zeichen der rituellen Reinigung, die Vorbereitung zum Übergang in Allahs Paradies.«
»Ein Selbstmordattentäter?«
»Ein Selbstmordkiller«, sagte der Mediziner. »Vernichte einen wichtigen Staatsbürger des Großen Teufels, und die Pforten der ewigen Glückseligkeit öffnen sich dem Diener, der als schahid hindurchgeht, als Märtyrer. In den Staaten erleben wir es nicht oft, doch im Mittleren Osten, in Pakistan und Afghanistan, ist es sehr verbreitet. Darüber gab es einen Vortrag auf dem Seminar.«
»Aber er ist hier geboren und aufgewachsen«, sagte Detective Hall.
»Na, dann hat ihn jemand gründlich indoktriniert«, sagte der Arzt. »Übrigens haben Ihre Kriminaltechniker seine Fingerabdrücke schon abgeholt. Ansonsten hatte er nichts bei sich. Nur die Waffe, und die ist bereits in der Ballistik, glaube ich.«
Detective Halls nächste Station lag im Obergeschoss. Dr. Alex McCrae saß in seinem Büro bei einem sehr späten Lunch. Er aß ein Thunfischsandwich aus der Kantine.
»Was wollen Sie wissen, Detective?«
»Alles«, sagte Hall. Der Chirurg gab ihm einen vollständigen Bericht.
Als der schwer verletzte General in die Notaufnahme gebracht worden war, hatte Dr. McCrae sofort eine intravenöse Infusion anlegen lassen. Dann hatte er die Vitalzeichen kontrolliert: Sauerstoffsättigung, Puls und Blutdruck.
Sein Anästhesist hatte einen guten Zugang durch die Halsvene gefunden. Durch eine große Kanüle hatte er eine Salzlösung gegeben, unmittelbar gefolgt von zwei Einheiten Blut der Gruppe 0 , Rhesus negativ, zur provisorischen Schadensbegrenzung. Schließlich schickte er eine Blutprobe des Patienten zur Bestimmung ins Labor.
Als der Patient vorläufig stabilisiert war, musste Dr. McCrae als Erstes herausfinden, was in seiner Brust los war. Offensichtlich steckte dort eine Kugel fest, denn das Einschussloch war deutlich zu erkennen, aber es gab keine Austrittswunde.
Er überlegte, ob er eine Röntgenaufnahme oder einen CT -Scan machen solle, zog es jedoch vor, den Patienten nicht vom Wagen zu heben, und begnügte sich mit einer Röntgenaufnahme. Er schob die Platte unter den bewusstlosen Körper und machte die Aufnahme von oben.
Dabei zeigte sich, dass der General einen Lungenschuss davongetragen hatte. Die Kugel saß dicht neben dem Hilum, der Lungenwurzel. Damit hatte Dr. McCrae drei riskante Möglichkeiten. Die erste war der operative Einsatz eines kardiopulmonären Bypasses, aber damit würde er die Lunge wahrscheinlich noch weiter schädigen.
Die zweite Möglichkeit bestand in einer sofortigen invasiven Operation zur Entfernung der Kugel. Das wäre ebenfalls hochriskant, weil das volle Ausmaß der Verletzung noch nicht klar war, sodass auch hier ein tödlicher Ausgang möglich war.
Er entschied sich, auf die dritte Möglichkeit zu setzen und vierundzwanzig Stunden gar nichts zu unternehmen. Zwar hatten die Wiederbelebungsversuche die Kräfte des alten Herrn stark beansprucht, aber vielleicht würde er sich auch ohne weitere Wiederbelebungs- und Stabilisierungsanstrengungen weiter erholen, sodass bei der invasiven Operation bessere Überlebenschancen bestünden.
Also wurde der General auf die Intensivstation verlegt, und als der Detective mit dem Chirurgen sprach, lag der alte Herr dort bereits unter einem Girlandengewirr von Schläuchen. Einer kam aus dem zentralen Venenkatheter an der einen Seite des Halses, einer aus der Kanüle an der anderen. Der Schlauch der Nasensonde sorgte für gleichmäßige Sauerstoffzufuhr. Blutdruck und Puls wurden auf einem Monitor neben dem Bett dargestellt, und die Herzfunktionen waren auf einen Blick ablesbar. Eine Thoraxdrainage lag zwischen der fünften und der sechsten Rippe unter der linken Achsel. Sie fing die ständig aus der punktierten Lunge entweichende Luft ab und leitete sie in einen zu einem Drittel mit Wasser gefüllten Glasbehälter auf dem Boden. Die ausdringende Luft verließ
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