Die Todesliste
sich an die zahlreichen Jugendlichen in der britischen und amerikanischen Diaspora wandte. Er wurde zum Mentor der neu angekommenen, ebenfalls englischsprachigen Pakistani.
Awlaki war als Sohn jemenitischer Eltern in New Mexico zur Welt gekommen, wo sein Vater Landwirtschaft studierte. Buchstäblich als American Boy aufgewachsen, war er 1978 mit sieben Jahren zum ersten Mal in den Jemen gekommen. Dort ging er zur Oberschule und kehrte dann in die USA zurück, um in Colorado und San Diego aufs College zu gehen. Mit zweiundzwanzig ging er 1993 nach Afghanistan und fand anscheinend dort zum ultragewalttätigen Dschihadismus.
Wie die meisten Dschihadisten hatte er keinerlei Koranausbildung genossen, sondern seine Lektüre auf extremistische Propaganda beschränkt. Als er wieder in den USA war, gelang es ihm, sich als Imam an der Rabat-Moschee in San Diego und an einer anderen in Falls Church, Virginia, niederzulassen. Kurz vor der Verhaftung wegen eines Passvergehens floh er nach Großbritannien.
Hier unternahm er ausgedehnte Vortragsreisen. Dann kam Nine/Eleven, und der Westen wachte endlich auf. Das Netz zog sich enger, und 2004 setzte Awlaki sich wieder in den Jemen ab. Er wurde festgenommen und für kurze Zeit wegen des Vorwurfs der Entführung und des Terrorismus eingesperrt, kam jedoch auf Druck seines einflussreichen Stammes wieder frei. 2008 hatte er seinen Platz endlich gefunden – als Hetzprediger, der das Internet als Kanzel benutzte.
Und er hatte Wirkung. Es kam zu mehreren Mordanschlägen durch »Ultras«, die durch seine Aufrufe zu Mord und Zerstörung angestiftet worden waren. Er ging eine Partnerschaft mit dem brillanten saudischen Bombenbauer Ibrahim al-Asiri ein. Awlaki war es, der den jungen Nigerianer Abdulmutallab dazu überredete, als Selbstmordattentäter eine Bombe an Bord eines Verkehrsflugzeugs über Detroit explodieren zu lassen, und von Asiri stammte die unentdeckbare Bombe in der Unterhose des Nigerianers. Eine Fehlfunktion rettete das Flugzeug, wenn auch nicht die Genitalien des jungen Mannes.
Während Awlakis Predigten auf YouTube immer wirkungsvoller wurden – er wurde regelmäßig 150 000-mal angeklickt –, entwickelte Asiri mehr und mehr Geschick mit seinen Bomben. Schließlich kamen sie im April 2010 beide auf die Todesliste. Inzwischen war der geheimnisvolle und bescheidene Jünger aus Pakistan zu Awlaki gestoßen.
Zwei Versuche wurden unternommen, Awlaki aufzuspüren und zu vernichten. An dem einen war die jemenitische Armee beteiligt, die ihn entkommen ließ, als man sein Dorf umstellt hatte. Beim zweiten zerstörte eine von einer amerikanischen Drohne abgefeuerte Rakete das Haus, in dem er sich aufhalten sollte. Aber er war nicht da.
Die Gerechtigkeit ereilte ihn schließlich am 30. November 2011 auf einer einsamen Piste im Nordjemen Er hatte sich in einem Dorf namens Khaschew aufgehalten und war von einem jungen Akolyten identifiziert worden, der gegen bare Dollars gesungen hatte. Nur wenige Stunden später kreiste eine Drohne vom Typ Predator, gestartet von einem geheimen Stützpunkt jenseits der Grenze in der saudischen Wüste, über ihm am Himmel.
In Nevada beobachtete man die drei geparkten Toyota Landcruiser – das Fahrzeug der Wahl bei al-Qaida – auf dem Dorfplatz, eine Abschussgenehmigung wurde jedoch verweigert, weil Frauen und Kinder in der Nähe waren. Im Morgengrauen des 13. sah man, wie er in das vordere Fahrzeug stieg. Die Kameras waren so leistungsfähig, dass sein Gesicht auf der Creech Air Force Base den ganzen Plasmamonitor ausfüllte, als er hochschaute.
Zwei Landcruiser fuhren los, aber der dritte schien Probleme zu haben. Die Haube war hochgeklappt, und jemand arbeitete am Motor. Die Beobachter ahnten nicht, dass noch drei weitere Personen darauf warteten, in dieses Fahrzeug zu steigen. Alle hätten den USA gefallen.
Der eine war Asiri, der Bombenbauer, persönlich. Der zweite war Fahd al-Kuso, der Stellvertreter Awlakis als Chef von al- Quaida auf der Arabischen Halbinsel. Er gehörte zu denen, die im Jahr 2000 hinter dem Mord an siebzehn amerikanischen Seeleuten auf dem Zerstörer Cole im Hafen von Aden gestanden hatten, und sollte bei einem weiteren Drohnenangriff im Mai 2012 sterben.
Der dritte war den Amerikanern unbekannt. Er schaute niemals hoch, sein Kopf war zum Schutz gegen den Staub vermummt, und niemand sah, dass er bernsteinfarbene Augen hatte.
Die beiden vorderen SUVs fuhren auf der staubigen Piste in die Provinz al-Dschauf, doch
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