Die Todesliste
– und irgendwie kam es ihm bekannt vor. Er nahm das Originalfoto, das er auf seinem iPhone aus Islamabad mitgebracht hatte, aus seinem Schreibtisch. Es war einmal gefaltet, um die Hälfte zu verbergen, die er nicht brauchte. Aber jetzt wollte er sie sehen. Das fünfzehn Jahre alte Bild des grinsenden Schülers.
Als Einzelkind wusste der Spürhund, dass zwei Jungen, die als »beste Freunde« durch die Schule gehen, diese Bindung oft ein Leben lang nicht mehr verlieren. Er dachte an den Hinweis von Ariel: Jemand schickte E-Mails an den Schuppen in Kismaju. Der Troll bestätigte dankend den Empfang.
Der Prediger hatte einen Freund im Westen.
Captain Mason betrachtete das mutmaßliche Gesicht des Predigers – ehemals Zulfikar Ali Schah, ehemals Abu Azzam –, wie er heute aussehen würde. Daneben hielt er das Bild des ahnungslosen Tony Suarez, eines arbeitslosen Kleindarstellers, der in einer Bruchbude in Malibu hauste.
»Klar, das lässt sich machen«, sagte er schließlich. »Mit Maske, Frisur, Garderobe, Kontaktlinsen, Sprechproben, Teleprompter.« Er klopfte mit dem Finger auf das Foto des Predigers.
»Spricht der Kerl auch?«
»Gelegentlich.«
»Für die Stimme kann ich nicht garantieren.«
»Die Stimme überlassen Sie mir«, sagte der Spürhund.
Captain Mason flog in Zivil und als Mr. Mason mit einem Bündel Dollarscheine nach Hollywood, kam mit Mr. Suarez zurück und brachte ihn in einer komfortablen Suite eines Kettenhotels unter, zwanzig Meilen weit von Fort Eustis entfernt. Um sicher zu sein, dass er nicht auf Abwege geriet, verpasste man ihm einen Aufpasser in Gestalt eines hinreißenden, blonden, weiblichen Corporals. Man versicherte der Frau, sie brauche im Dienste des Vaterlandes nichts weiter zu tun, als den kalifornischen Gast achtundvierzig Stunden lang daran zu hindern, das Hotel zu verlassen oder ihr Schlafzimmer zu betreten.
Ob Mr. Suarez wirklich glaubte, man brauche seine Dienste zur Vorproduktion eines Arthouse-Films für einen Kunden aus dem Nahen Osten, der eine Menge Geld ausgeben wollte, war ohne Bedeutung. Ob der Film einen Plot hatte, interessierte ihn nicht. Er war zufrieden, in einer Luxussuite mit Champagnerbar zu wohnen, genug Geld für den Grillbedarf mehrerer Jahre zu bekommen und seine Zeit mit einer Blondine zu verbringen, die den Straßenverkehr zum Erliegen bringen konnte. Captain Mason hatte im selben Hotel einen großen Konferenzraum gebucht und Suarez gesagt, die »Probeaufnahmen« würden am nächsten Tag stattfinden.
Das TRADOC -Team kam mit zwei unmarkierten Autos und einem kleinen Möbelwagen. Sie übernahmen den Konferenzraum und beklebten alle Fenster mit schwarzem Papier und Malerkrepp. Dann bauten sie das schlichteste Filmset der Welt.
Im Grunde bestand es nur aus einem Bettlaken, das an die Wand gepinnt wurde. Es war ebenfalls schwarz und mit Koran-versen in arabischer Kursivschrift beschrieben. Das Laken war in der Werkstatt eines Tonstudios in Fort Eustis präpariert worden. Es war eine Nachbildung des Hintergrunds, wie ihn der Prediger bei allen seinen Aufnahmen verwendete. Davor stellte man einen einfachen Holzstuhl mit Armlehnen.
Am anderen Ende des Raums baute man mit Stühlen, Ti schen und Lampen zwei Arbeitsbereiche für »Garderobe« und »Maske«. Keiner der Beteiligten hatte die leiseste Ahnung, warum.
Der Kameramann stellte seinen Camcorder vor dem Stuhl auf. Einer seiner Kollegen setzte sich auf den Stuhl, damit Abstand, Bildschärfe und Klarheit eingestellt werden konnten. Der Tontechniker prüfte die Lautstärkelevel. Der Monitor des Teleprompters wurde dicht unter das Objektiv des Camcorders platziert, damit es aussah, als wäre der Blick des Sprechenden geradewegs in die Kamera gerichtet.
Mr. Suarez wurde hereingeführt und in die »Garderobe« gebracht, wo ihn eine Matrone im Rang eines Senior Sergeant, in Zivil wie alle anderen, mit dem Gewand und dem Kopftuch erwartete, das er tragen würde. Auch dieses Kostüm hatte der Spürhund aus dem enormen Fundus von TRADOC ausgesucht, und die Kostümbildnerin hatte nach Fotos des Predigers ein paar Änderungen vorgenommen.
»Ich brauche aber kein Arabisch zu sprechen, oder?«, protestierte Tony Suarez. »Niemand hat was von Arabisch gesagt.«
»Absolut nicht«, beruhigte ihn »Mr.« Mason, der jetzt anscheinend Regie führte. »Na ja, ein, zwei Wörter vielleicht, aber dabei kommt es nicht auf die Aussprache an. Hier, schauen Sie sich das an. Sie müssen es nur lippensynchron hinkriegen.«
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