Die Todesliste
mietete ein klappriges weißes Piaggio-Moped. Der Vermieter kannte ihn schon von früheren Besuchen: immer eine ordentliche Vorauszahlung in Dollar, das Fahrzeug stets heil zurückgebracht, keine Notwendigkeit für alberne Formalitäten wie etwa Führerscheine.
Der Däne fädelte sich in den Strom von Eselskarren, ausei nanderbrechenden Lastwagen und Pick-ups und anderen Mopeds ein und wich einzelnen Kamelen und Fußgängern aus. Er sah wie ein x-beliebiger Somali aus, der seinen Geschäften nachging, als er die Maka-al-Mukarama hinunterknatterte, die Hauptstraße, die sich durch das Zentrum von Mogadischu schneidet.
Er kam an der strahlend weißen Isbahaysiga-Moschee vorbei, die in ihrer unbeschädigten Pracht beeindruckend wirkte, doch als sein Blick über die Straße ging, sah er etwas weniger Attraktives. Seit seinem letzten Besuch war das Flüchtlingslager Darawyscha weder verlegt noch verbessert worden. Es war immer noch ein Meer von elenden Hütten, in denen zehntausend hungrige und verängstigte Flüchtlinge hausten. Sie hatten keine Kanalisation und keine Lebensmittel, weder Arbeit noch Hoffnung, und ihre Kinder spielten in Pfützen von Urin. Sie waren wirklich die, dachte er, die Frantz Fanon als »die Verdammten der Erde« bezeichnet hatte, und Darawyscha war nur eine von achtzehn Elendsstädten innerhalb der Enklave. Die westlichen Hilfsorganisationen gaben sich alle Mühe, aber hier zu helfen war unmöglich.
Der Däne warf einen Blick auf seine billige Armbanduhr. Er war pünktlich. Die Treffen fanden immer um zwölf Uhr mittags statt. Der Mann, dessentwegen er gekommen war, würde einen Blick auf die übliche Stelle werfen. Wenn er nicht da wäre – was er in neunundneunzig von hundert Fällen nicht war –, würde der andere Mann seiner Wege gehen. Wenn er da wäre, würden sie Signale wechseln.
Das Moped trug ihn in das zerstörte italienische Viertel. Ein Weißer, der dort ohne große, bewaffnete Eskorte hinging, war ein Idiot. Das Risiko, ermordet zu werden, war dabei weniger groß als das einer Entführung. Ein Europäer oder Amerikaner konnte bis zu zwei Millionen Dollar wert sein. Doch mit den somalischen Flipflops, dem afrikanischen Hemd und einem schemagh um Kopf und Gesicht fühlte der israelische Agent sich einigermaßen sicher, wenn er die Sache kurz machte.
Der Fisch wurde jeden Morgen in der kleinen hufeisenförmigen Bucht vor dem Uruba-Hotel angelandet, wo die Brandung des Indischen Ozeans die Fischerboote aus der Dünung an den Strand trägt. Von dort schleppen die mageren, dunklen Männer, die die ganze Nacht gefischt haben, ihre Makrelen und Haie zum Marktschuppen hinauf und hoffen auf Käufer.
Der Markt liegt zweihundert Meter weit von der Bucht entfernt und ist ein dreißig Meter langer, unbeleuchteter Schuppen, in dem es nach Fisch stinkt, nach frischem und nach anderem. Der Agent des Dänen war hier der Marktleiter. Mr. Kamal Duale wurde dafür bezahlt, dass er jeden Mittag um zwölf aus seinem Büro kam und die Menge beaufsichtigte, die sich vor dem Markt sammelte.
Die meisten waren gekommen, um zu kaufen, aber nicht sofort. Wer Geld hatte, bekam den Fisch frisch. Ohne Kühlung, bei vierzig Grad Hitze, würde er ziemlich schnell zu riechen anfangen, und dann gab es ihn günstiger.
Wenn Mr. Duale überrascht war, seinen Agentenführer in der Menge zu erblicken, ließ er es sich nicht anmerken. Er starrte ihn nur an und nickte. Der Mann auf der Piaggio nickte zurück und hob die rechte Hand vor die Brust. Spreizte die Finger, schloss sie und spreizte sie erneut. Noch einmal nickten beide kurz, dann fuhr der Motorroller weg. Das Treffen war verabredet: morgen früh um zehn am gewohnten Ort.
Am nächsten Tag kam der Däne um acht zum Frühstück herunter. Er hatte Glück, es gab Eier. Er nahm zwei Spiegeleier mit Brot und Tee. Viel wollte er nicht essen; er war bemüht, die Toiletten zu vermeiden.
Sein Roller parkte an der Mauer des Hotelgeländes. Um halb zehn trat er den Kickstarter herunter, wartete darauf, dass das Stahltor sich öffnete, und fuhr zurück bis zum Tor vor dem Camp der Afrikanischen Union. Während er auf die Wachbaracke zufuhr, riss er sich das schemagh vom Kopf. Seine blonden Haare gaben ihn sofort zu erkennen.
Ein ugandischer Soldat trat aus der Kabine und nahm das Gewehr von der Schulter. Kurz vor der Schranke schwenkte der Rollerfahrer ab, hob die Hand und rief: »Jambo.«
Als der Ugander sein heimisches Suaheli hörte, ließ er das Gewehr sinken.
Weitere Kostenlose Bücher