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Die Todespfeiler

Die Todespfeiler

Titel: Die Todespfeiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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allerdings schob er noch immer von sich weg. Langsam leerte er den Becher und begegnete dem Blick des Wahnhallers.
    »Heute nacht werden wir gut schlafen«, murmelte Exyll und wuchtete sich hoch. »Zumindest die Stunden, bis es heller wird.«
    Er hob müde die Hand und stolperte hinaus.
    Necron zog sich halb aus, legte seine Waffen griffbereit auf den Tisch, prüfte, ob der DRAGOMAE-Bruchstein noch sicher war, verschränkte dann die Arme hinter dem Nacken und schlief fast augenblicklich ein.
    Unmerklich hob und senkte sich der mächtige Körper der Guinhan in den Wellen der einsetzenden Ebbe, die vergeblich versuchte, das schmutzige Wasser und all den Unrat aus dem Hafenbecken zu ziehen und mit der reißenden Strömung zu den schrecklichen Todespfeilern zu treiben.
*
    Necron wachte auf. Hinter seiner rechten Schläfe spürte er einen feinen, stechenden Schmerz. Er öffnete die Augen nicht, obwohl starke Helligkeit durch das weit offene Bullauge drang. An der Decke aus hellen Holzbalken spiegelten sich die sichelförmigen Reflexe, wie sie Sonnenlicht auf kleinen Wellen erzeugte.
    Necron versuchte, die gewohnten und ungewohnten Geräusche richtig zu deuten. Er hörte weder Schreie noch hastige Schritte oder gar Waffengeklirr. Männer gingen hin und her. Aus den Ritzen zwischen den Balken und Platten drang der Geruch nach starkem Tee, mit Honig gesüßt. Ein deutliches Zeichen dafür, daß an Bord Ruhe herrschte.
    Necron stand auf, Wusch sich flüchtig mit dem abgestandenen Wasser in einer eisernen Schüssel, zog seine Stiefel an und ging an Deck. Wortlos drückte ihm ein Schattenkrieger einen riesigen Becher heißen Tee in die Hand. Wenn sein eigenes Gesicht, sagte sich der Alptraumritter und betrachtete, als sähe er ihn zum erstenmal, den unauffälligen Ring aus Ash’Caron, ebenso zerknittert und verschwollen aussah wie das des Kriegers, dann hatte er schlecht geschlafen und noch schlechter geträumt.
    Er ließ seine Blicke über das Deck gleiten.
    Alles war in bester Ordnung. Seine Männer wuschen ihre Oberkörper. Andere rollten Fässer mit Trinkwasser vom Kai heran. Drei Seeleute waren auf den Mast geklettert und spleißten einige Taue neu. Jetzt, im Licht breiter Lichtbalken, die durch die Düsternis brachen, sahen Hafen und Stadt Orankon gänzlich anders aus.
    Die Feuer auf den Leuchttürmen waren erloschen. Statt ihrer rauchten schwarze Wolken aus den Feuerschalen und wurden von einem Wind aus dem vierten Quadranten abgetrieben. Das Hafenwasser, das in der Nacht tiefschwarz gewesen war, zeigte nun eine mittelgraue Färbung. In den großen Wirbeln der Strömung trieben dicke Schleier aus Abfällen hin und her. Tote Tiere schwammen in dem Unrat. Zwischen den Hafentürmen zeigten sich die schneeweißen Kronen der Brecher und dahinter die Wellen der starken Strömung in die Dunkelzone.
    Deutlich erkannte Necron jetzt, was seine Leute bereits genauer wußten. Die Schiffe ringsum waren Wracks, nicht mehr in der Lage, auch nur eine Stunde in bewegtem Wasser zu segeln oder gerudert zu werden. Die Zeichen des unaufhaltsamen Zerfalls waren mehr als deutlich. So wie gestern das Schiff verbrannt war, so würden die meisten der verwahrlosten Schiffe hier im Hafen versinken.
    Er sah, wie viele Schiffsbewohner mit allerlei Hohlgefäßen das eingedrungene Wasser ausschöpften und teilweise damit ihre kleinen, struppigen Gärten wässerten.
    Er schüttelte sich vor Abscheu.
    »Der schönste Hafen auf Wahnhall!« spottete neben ihm Odam. Auch er betrachtete die Gebäude der Stadt, die zu einem ganz anders gearteten Leben erwacht war – anders als vor sieben oder acht Stunden.
    Necron zog kurz die Stundenwurzel, die er mit einer dünnen Lederschnur am Mast angeknotet hatte, zu Rate. Noch ziemlich genau vier Stunden bis Mittag.
    »Man muß Orankon nehmen, wie es ist, so sagte Exyll«, antwortete Necron. »Was hält uns davon ab, bald wieder die Leinen loszumachen?«
    »Nicht viel!«
    Der Hügel, der die Stadt trug, war von ungepflegtem Gestrüpp und von großen, windzerzausten Bäumen bedeckt. An ein paar Stellen sahen die Männer der Guinhan dürftige Äcker und Weiden, auf denen braune Tiere grasten. Die Häuser hatten in der Dunkelheit etwas Uraltes, Geheimnisvolles gehabt; jetzt waren sie nur noch häßlich. Aus den Fugen der Quadern blühte bitteres Salz in weißen Kristallen aus. Unter den zahllosen Simsen wuchs langhaariges Moos bis zum Boden. Eine Kruste aus Schlick und Ablagerungen schien gleichmäßig alle Häuser zu

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