Die Todespfeiler
bedecken. Die Läden und Türen bestanden aus graugebleichtem, rissigem Holz, die Straßen glichen mehr ausgefahrenen, sandigen Karrenwegen als denen einer Siedlung. Die wenigen Sonnenstrahlen, die durch die stets nebligen Schichten der Düsterzone drangen, konnten nicht einen einzigen schönen Platz hervorzaubern.
Drei Pfeilschußweiten entfernt wurden von Stadtbewohnern Boote bemannt. Necron blickte schärfer hin. Dann stieß er den Wahnhaller an.
»Seltsame Boote, dort. Was treiben sie?«
»Du fragst mich zuviel. Gehen wir hin, um nachzusehen!«
»Einverstanden.«
Necron, Prinz Odam und einige von Exylls Leuten entledigten sich der Waffen. Vorsichtshalber versteckten sie aber schmale Dolche in den Stiefelschäften und in den Scheiden, die sie an den Oberarmen unter den Wämsern trugen.
Sie gingen an Land. Neugierige Blicke trafen sie. Kinder bettelten sie an, und aus den Türen der Schenken warfen ihnen Mädchen mit früh verblühten Gesichtern eindeutige Blicke zu.
»Ein kräftiger Regen würde der Stadt auch nicht schaden«, bemerkte Necron spöttisch.
»Es regnet selten hier«, gab Exyll zurück. Odam nickte und murmelte:
»Man sieht’s am angehäuften. Dreck.«
Mit energischen Schritten gingen sie an den Hecks und den Bugteilen vieler Schiffe vorbei. Die Belegtaue hatten sich an den Pollern zu unentwirrbaren Schleifen und Knoten von selbst festgezurrt. Wind kam auf, ein böiger Fallwind vom Land aufs Meer hinaus, wie er am Morgen und in der ersten Tageshälfte so häufig ist. Die Bewohner der Schiffe gingen ihren Tätigkeiten nach, und hin und wieder rief einer von ihnen den Fremden halb spöttische, halb prophetische Worte zu.
»Seht nur zu, wie wir es machen. Ihr werdet’s brauchen.«
»Es dauert nur noch zwei Jahre…«
»… dann schlägt auch euer Kiel Wurzeln!«
»Noch seid ihr nicht vom Wahnsinn gezeichnet.«
»Die Strömung draußen ist besser als alles andere. Segelt fort, Fremde!«
Necron und seine Begleiter begnügten sich damit, heiter und gemessen zurückzuwinken und den Passanten auszuweichen.
Sie erreichten eine Reihe von Lauschern, die sie schon von weitem an den metallenen Trichtern auf den Helmen erkannt hatten. Die Männer in der schwarzen Lederkleidung boten nachts ebenfalls einen bedrohlicheren Anblick als jetzt. An den Ellbogen und an den Knien und nicht nur dort war das Leder abgeschabt und rissig. Die eisernen Schuppen zeigten die Farbe rauhen Rostes. Nur das Innere der Trichter, deren letzte Rohrenden dicht über den Ohren der Lauscher endeten, war geputzt und poliert.
Jenseits der Absperrkette stand eine lange Reihe von Gefangenen. Sie waren gefesselt und angekettet und stierten teilnahmslos vor sich hin. Mit Stößen der stumpfen Knüppel stiegen die Lauscher die Gefangenen vor sich her und trieben sie auf einen schmalen Steg hinaus. An dessen Seiten und am Kopfende schaukelten drei kleine Boote, die einen seltsamen Eindruck machten.
Odam wandte sich an einen Lauscher, schlug ihm herzhaft auf die Schulter und fragte mit freundlicher Stimme:
»Wohin bringt ihr diese armen Sünder?«
Die Antwort, die er erhielt, war ein verächtliches Knurren. Dann folgte eine widerwillig abgegebene Erklärung.
»Das sind jene, die der Wahnsinn dazu brachte, sich selbst und andere zu verletzen. Sie zündeten ein Boot an. Sie vernichteten das Eigentum anderer. Sie töteten ein Pferd.«
Leise fügte der Wahnhaller Exyll hinzu:
»Es sind jene, die in der vergangenen Nacht wahnsinnig wurden und keinen Schutz vor den Schreien der Todespfeiler mehr fanden.«
Die Boote, rund fünfundzwanzig Ellen lang, glichen Schildkröten. Bis zum Bord waren sie anderen Booten gleich, aber von dieser Linie ab schwangen sich die Planken vom Bug zum Heck und bildeten gleichsam eine zweite, umgedrehte Bootsschale, die auf die andere aufgesetzt war, mit einer länglichen Öffnung ganz oben.
»Wir opfern sie, wie alle, die uns Schaden zugefügt haben, den Todespfeilern Exinn und Skyll!« betonte ein Lauscher, der etwas gesprächiger wurde. Sein Nebenmann warf ihm einen stechenden Blick zu, und er schwieg.
Rücksichtslos wurden die Gefangenen, deren Ketten klirrten, in die Boote getrieben. Man warf einige Wasserschläuche hinter ihnen her, und Bündel von Nahrungsmitteln. Die Köpfe verschwanden im Innern der seltsamen Boote, die mit Tauen aneinander festgemacht waren. Aus einem anderen Teil des Hafens, dort, wo die größeren Bauwerke sich erhoben, kam ein Ruderboot, ebenfalls von Lauschern bemannt.
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