Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Todespfeiler

Die Todespfeiler

Titel: Die Todespfeiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
Vom Netzwerk:
mächtiges warmes Bratenstück lag. Das Salzfaß, kostbarster Besitz des Schiffes, stand auf der Platte. Undeutlich, weil er sichtlich zufrieden kaute, sagte der Wahnhaller:
    »Uns ist nichts an einem verhungerten Kapitän gelegen. Ich habe einen sündteuren Preis in der Schenke dafür gezahlt. Mit deinem Geld. Hier, lasse es dir wohl bekommen.«
    Er setzte sich, stellte die Becher auf Necrons Klapptisch und breitete das übrige zwischen dem Schreibgerät und den stockfleckigen Seekarten aus, die von einer Menge farbiger Verbesserungen bedeckt waren.
    »Schütte den teuren Wein nicht aufs Pergament«, tadelte Necron und räumte seine Werkzeuge und das Buch weg. »Danke, ich wollte nicht schon wieder harte Früchte und stinkenden Lauch essen.«
    »Lauch ist gut, weil die Zähne dir im Mund bleiben«, meinte der Wahnhaller und goß ein. Mit plötzlich erwachendem Hunger griff Necron nach dem Brot und biß große Stücke ab. Der Wahnhaller kippte den Hocker und lehnte sich gegen die Wand.
    »Du hast alles mit offenen Augen miterlebt«, stellte er fest. »Du weißt, wie es in Orankon zugeht. Jetzt wirst du von mir erfahren, was du noch nicht weißt.«
    »Es ist nicht eben gerade wenig«, bekräftigte Necron.
    »Ob die Steinernen Ohren von Orankon wirklich halten, was sie versprechen, weiß ich nicht. Aber vermutlich ist es so. Der Troll Skalef ist ein Wahnsinniger, auch ohne das Heulen der beiden Todespfeiler, der ein Schreckensregiment führt. Die Lauscher, die angeblich den Willen Skylls und Exinns verkünden, sind seine Truppen. Aber auch sie verkriechen sich, wenn der Wahnsinn über das Land kommt.«
    »Hören sie wirklich Botschaften durch die Rohre, die wie gebogene Fanfaren aussehen?«
    »Es mag sein. Sie behaupten es. Aber vielleicht auch nur, um ihren Herrschaftsanspruch durchzusetzen.«
    »Und die Stürmer?«
    »Gemach. Eines nach dem anderen. Sie sind die Ausführenden, die Soldaten der Lauscher. Sie bilden die Elitesoldaten und die Palastgarde von Skalef, dem Troll. In den Zeiten der Ruhe werden wir keinen von ihnen zu Gesicht bekommen. Sie werden von den Lauschern geweckt oder wachen auf, wenn der Wahnsinn beginnt. Wir haben es deutlich genug miterlebt.«
    »Und… wer sind diese Männer wirklich?«
    »Die Garde besteht nicht nur aus Männern. Sie sind alle irre. Arme Wahnsinnige, Nacht ist stets in ihrem Geist. Wenn der Wahnsinn vergangen ist, schlafen sie in ihren Verstecken oder sitzen und liegen teilnahmslos herum. Niemand hat sie je gesehen, außer in den Stunden des Wahnsinns.«
    »Wie viele sind es?«
    »Niemand weiß es genau. Es können Hunderte sein. Oder fast tausend solcher Menschen, die bei den wahnsinnsgebietenden Schreien aufwachen. Früher einmal war es ihre Aufgabe, in den Perioden der Kämpfe und der Zerstörungen für Ruhe zu sorgen. Sie sollten das Chaos in Grenzen halten. Du siehst also, daß der Wahnsinnsruf bei ihnen das Gegenteil erzeugt.«
    Necron hatte während der Kämpfe keinen von ihnen wirklich gesehen. Für ihn gab dieser nächtliche Zwischenfall ein Durcheinander von ledergerüsteten Körpern und finsteren Gesichtern, deren Münder und Augen weit aufgerissen waren.
    »Wenn ich deine Worte richtig deute«, unterbrach Necron und trank aus dem Krug, »dann werden die Umnachteten von den Lauschern als Werkzeuge mißbraucht?«
    »So ist es. Sie erledigen die Schmutzarbeit.«
    »Und sonst? Erzähle mir etwas über Orankon.«
    »Da ist schon fast alles gesagt. Auf den Schiffen und in den Häusern hausen Arme. Viele von ihnen sind durch die Wahnsinnsschreie inzwischen selbst halb verrückt geworden. Sie versuchen zu überleben. Das Leben, so wie du es aus anderen Hafenstädten kennst, gibt es nur in den Zeiten zwischen dem Schreien und Heulen der beiden Felspfeiler.«
    »Ein seltsames Leben, in der Tat«, bestätigte der Alptraumritter.
    Necron, einstmals Alleshändler in der Düsterzone, Freund des Shallad und dessen Augenbruder, Steinmann und Alptraumritter, dachte an seinen halbwegs selbstgewählten Auftrag. Von der Felsenstadt Ash’Caron bis hierher, nach der Entschlüsselung der Runen des Hohen Ritters Guinhan, auf den Spuren des sagenhaften Caeryll und auf dem Weg nach Carlumen – ein weiter, beschwerlicher Weg voller Abenteuer. Aber er, Necron, hatte viel gelernt und wenig vergessen, hatte außer ein paar verheilten Narben keinen Schaden erlitten, und er befand sich wieder in seiner vertrauten Welt: in der Düsterzone. Den Gedanken an die dahinterliegenden Schrecknisse

Weitere Kostenlose Bücher