Die Todesspirale
Putzwut gehabt haben sollte. Obendrein hatte er es in seiner Aussage nicht erwähnt.
Der abgebrochene Fingernagel in Nooras Haaren gehörte zweifelsfrei Ulrika Weissenberg. Ihre Fingerabdrücke waren auch an Nooras Schlittschuhen festgestellt worden, ebenso die von Noora, Janne, Rami und Silja. An den Kufenschonern dagegen befanden sich nur Ströms Fingerabdrücke. Jemand hatte die Schoner abgewischt.
Mein Gehirn weigerte sich, irgendwelche Schlüsse zu ziehen, und mein Bauch verkrampfte sich erneut. Höchste Zeit, nach Hause zu fahren. Vor der Garage kam mir ein Wagen entgegen, Koivu saß am Steuer, Pihko auf der Rückbank neben Tomi Liikanen. Es fiel mir diesmal nicht schwer, die Vernehmung den Kollegen zu überlassen.
Zu Hause kochte ich Kamillentee und ließ Badewasser einlaufen. Nach dem Bad wollte ich meine Freundin Eva Jensen anrufen, die von Beruf Therapeutin war. Vielleicht konnte ich sie am Abend besuchen, um mich auszusprechen und Talvikki, ihre vier Monate alte Tochter, zu sehen.
Nie hatte ich mich so hilflos gefühlt wie in dem Moment, als Hanna abdrückte. Im Allgemeinen verdrängte ich das Gefühl der Hilflosigkeit durch kopfloses Handeln. Aber warum in aller Welt wollte ich die ganze Zeit hart, forsch und effektiv sein? Natürlich musste eine Frau hundertzwanzigpro-zentig erfolgreich sein, um in der Männerwelt der Polizei bestehen zu können, doch das war nicht der einzige Grund.
Schwach zu sein, wenigstens einen halben Tag lang, erlaubte ich mir auch jetzt nur, weil ich schwanger und für einen anderen Menschen verantwortlich war. Vielleicht musste ich lernen, mich selbst ein bisschen mehr zu mögen und mir auch Fehler zu verzeihen.
Nach dem Bad nahm ich mir eine Arbeit vor, die eigentlich noch keine Eile hatte. Der Mann meiner jüngsten Schwester Helena hatte uns vor einigen Wochen besucht und einen ganzen Sack voll Babykleidung mitgebracht, aus der die drei Kinder meiner Schwestern herausgewachsen waren. Aliisa, das zweite Kind meiner Schwester Eeva, war zwar erst sechs Wochen alt, doch Eeva hatte mir alle blauen Strampelhosen ihres Ältesten mitgeschickt. Wahrscheinlich wollte sie ihre Tochter rosa und kanariengelb kleiden.
Ich sortierte die winzigen Hemdchen und Höschen, die unvorstellbar kleinen Söckchen. Größe sechzig, siebzig, Spit-zenhäubchen und Rüschenkleider in Größe achtzig, von Helenas Tochter Janina. Seltsam, dass man schon bei der Babykleidung zwischen Mädchen und Jungen unterschied. Von einem winzigen Schlafanzug mit dem Aufdruck «Bonne Nuit» stieg ein eigenartig säuerlicher Geruch auf. Die Sachen waren mit unparfümiertem Waschpulver gewaschen worden, sodass eine Spur vom Geruch des Babys, das sie getragen hatte, zurückgeblieben war.
Schnüppchen hüpfte in meinem Bauch herum, und ich er-zählte ihm von den schönen Kleidern, die auf es warteten.
Ich versprach ihm, dass es den feinen blauen Matrosenanzug auf jeden Fall anziehen dürfe, auch wenn es ein Mädchen sei.
Daraufhin strampelte es fester als sonst, als freue es sich dar
über, und ich hatte sekundenlang das Gefühl, keine zehn Wochen mehr warten zu können, so sehr wünschte ich mir, das Kind kennen zu lernen, das in mir schwamm.
Fünfzehn
Am nächsten Tag verwöhnte ich mich mit urweiblichen Trostmitteln: Shopping und Schokoladentorte. Ich hatte mich mit meiner Studienkollegin Leena vor dem Kaufhaus Stockmann verabredet, weil ich dringend neue Unterwäsche brauchte.
«Nimm was Fetziges, bloß keine Omawäsche», sagte Leena auf der Rolltreppe. Sie war ein wahrer Spitzenfreak und hätte selbst für Geld und gute Worte niemals puderfarbene Baumwollschlüpfer angezogen. Aus alter Gewohnheit steu-erte ich auf das Regal mit den SportBHs zu, doch Leena zog mich weiter. Sie jauchzte vor Begeisterung, als sie Still-büstenhalter aus schwarzer Spitze entdeckte.
«Die musst du nehmen», rief sie. «Als ich schwanger war, gab es so was gar nicht, man bekam nur diese prüden wei
ßen. Nimm gleich zwei, von der Milch werden sie so schnell fleckig.»
Als Mutter von zwei Kindern wusste sie wohl, wovon sie sprach, also folgte ich ihrem Rat und leistete mir gleich noch passende Slips dazu. Dann fiel mir ein, dass meine Wimperntusche völlig trocken und verklumpt war. In der Kosme-tikabteilung ließ ich mich dazu hinreißen, neben dem Mascara eine Lidschattenpalette in Gold und Violetttönen zu erstehen, während Leena drei Lippenstifte kaufte, für jede Stimmungslage einen.
«Und jetzt zu den Hüten»,
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