Die Todesspirale
Blut-zuckerpegel hatte Tiefststand erreicht. Glücklicherweise fand ich ganz unten im Rucksack die Schokolade für Notfälle, die Antti mir vor zwei Wochen gekauft hatte. Ich stopfte mir fast einen ganzen Riegel in den Mund, bevor ich nach Hause fuhr.
Seit über einem Jahr wohnten wir zur Miete in einem ver-witterten Holzhaus in VähäHenttaa. Durch die Fenster auf der Ostseite sah man Felder, auf denen jetzt gerade das Getreide zu sprießen begann. Wir lebten in der zweitgrößten Stadt Finnlands und dennoch wie auf dem Land, weit weg von allen Läden und ohne direkte Busverbindung. Wir hatten das Haus und den verwilderten Garten lieb gewonnen.
Leider war es mit der Idylle bald vorbei, denn jenseits des Feldes sollte die neue Umgehungsstraße gebaut werden, worüber vor allem Antti sehr aufgebracht war.
Er saß lesend im Wohnzimmer, unser Kater Einstein lag faul auf dem Sofa und ließ sich kaum herbei, zur Begrüßung ein Auge zu öffnen. Offenbar hatte er seine abendliche Thunfischration bereits bekommen. Ich zog rasch die Schuhe aus, die mich den ganzen Tag gezwackt hatten, dann setzte ich mich auf Anttis Schoß.
«Schlimmer Tag?», fragte er und gab mir einen Kuss auf den Nacken.
«Allerdings. Und bei dir?»
«So la la. Hauptsächlich hab ich Klausuren korrigiert, das Semesterende ist immer furchtbar.» Antti war Assistent am mathematischen Institut der Universität Helsinki, hatte unregelmäßige Arbeitszeiten und schuftete oft bis spät abends, wie ich. Das Kind würde unsere Lebensweise zurechtstutzen müssen. Jedenfalls hieß es in allen Ratgebern, Babys brauchten einen regelmäßigen Tagesablauf.
«Du könntest mir den Nacken massieren, oder noch lieber den ganzen Rücken», bat ich.
«Was macht Schnüppchen?» Antti hatte darauf bestanden, unserem Baby einen vorläufigen Namen zu geben.
«Schlägt wieder Purzelbäume, fühl mal. Das wird bestimmt ein Delphin.»
Antti legte das Ohr an meinen Bauch und lachte, als der Babypo seine Gehörknöchelchen zum Vibrieren brachte.
«Hast du schon gegessen? In der Küche ist frisches Brot, vor einer Viertelstunde aus dem Ofen geholt.»
«Himmlisch … Ich nehm erst das Brot und dann die Mas-sage …» Ich löste mich aus Anttis langen Armen, zog die Jacke aus und ging in die Küche. Einstein schlüpfte mir nach und stieß mit seinem weiß gescheckten Fell gegen meine Beine, doch ich ließ mich nicht erweichen. Seine Thunfisch-dose war leer.
Antti musste meine Schultern lange kneten, bevor ich mich so weit entspannte, dass ich einschlafen konnte. Aber noch im Halbschlaf dachte ich an Noora, die in der Rechtsmedizin im Kühlfach lag, und an Janne, den ich in eine Haftzelle eingeliefert hatte.
Am nächsten Morgen hatte ich mich gerade an den Schreibtisch gesetzt, als Taskinens präzises Klopfzeichen ertönte.
«Komm nur rein, Jyrki!»
Er sah eine Spur besser aus als gestern, sein Gesicht hatte wieder die übliche Weißbrotfarbe, die Haare waren akkurat gekämmt, das Hemd faltenlos. Aber sein Gesichtsausdruck versprach nichts Gutes.
«Du hast gestern Abend Janne Kivi festgenommen», sagte er statt einer Begrüßung.
«Ja. Er hat sich sehr merkwürdig verhalten», murmelte ich und erklärte, was vorgefallen war. Taskinen nickte, schien jedoch nicht überzeugt. Da hatte ich wohl einen riesigen Fehler gemacht.
«Du hättest mich anrufen sollen», unterbrach er meine Schilderung der Ankleideaktion.
«Es war schon spät. Ich wollte dich nicht stören, der Dienst habende Kriminalrat war ja da. Und ich hatte wirklich Angst, Janne würde sich etwas antun.»
«Sicher eine berechtigte Befürchtung. Aber glaubst du im Ernst, Janne könnte der Täter sein? Bisher steht ja nicht einmal fest, wo sich dieser Teräsvuori zur Tatzeit aufgehalten hat.»
Jyrki war ungewöhnlich nervös. Ich erinnerte mich an Koivus Überlegung, ob Silja womöglich etwas mit Janne hatte, und fragte rundheraus danach.
«Nein, da ist nichts, obwohl Janne vermutlich nichts dagegen hätte. Silja interessiert sich nicht für ihn, zum Glück! Es ist so schon schlimm genug. Ich habe gestern eine ganze Stunde lang mit Ulrika Weissenberg telefoniert, bevor ich sie überreden konnte, vorläufig keine Pressemitteilung heraus-zugeben.»
Taskinens Stimme klang nicht mehr so scharf, aber er blickte immer noch grimmig drein. Ganz offensichtlich war er mit meinem Vorgehen nicht einverstanden.
«Hast du schon mit Nooras Eltern gesprochen? Meinst du, ich kann sie heute vernehmen?», fragte ich.
«Ich
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