Die Todesspirale
habe Nooras Sachen hier, Kleidung, Geldbörse und so weiter. Möchten Sie sie haben? Die Schlittschuhe müssen wir allerdings noch behalten.»
«Die will ich nie mehr sehen!», entfuhr es ihm. Die Trauer, die sich hinter seinem kontrollierten Gebaren verbarg, brach in aller Heftigkeit hervor.
«Ich werde jemanden mit den anderen Sachen vorbei-schicken», sagte ich hastig und erklärte, wozu ich die Fingerabdrücke aller Familienmitglieder benötigte.
«Haben Sie Teräsvuori vernommen?», fragte Nieminen zum Schluss. Als ich bejahte, sagte er scharf:
«Er versteht es, Frauen den Kopf zu verdrehen. Vielleicht sollten Sie ihn lieber von einem Mann verhören lassen.»
Deutlicher hätte er seine Zweifel an meinen Fähigkeiten nicht zum Ausdruck bringen können. Das leise Mitgefühl, das ich verspürt hatte, erlosch, ich konnte mich nur mit Mühe davon abhalten, einfach den Hörer aufzuknallen. Trauernde sagen alles Mögliche. Bei einem männlichen Ermittler hätte Kauko Nieminen vielleicht auch einen Grund zur Kritik gefunden, wer weiß. Trotzdem ärgerte ich mich nach wie vor über die erstaunlich zählebige Vorstellung, Frauen seien für den Polizeidienst letztlich ungeeignet. Warum musste man einen Menschen von vornherein über sein Geschlecht definieren?
Wie mochte die Welt beschaffen sein, wenn Schnüppchen so alt war wie ich jetzt? Ich wusste nicht, ob ich ein Mädchen oder einen Jungen unter dem Herzen trug, wollte es auch gar nicht wissen. Meine eigene Geburt war eine Enttäuschung gewesen, weil ich ein Mädchen war, das hatte ich in meiner Kindheit immer wieder gehört, und da auch die beiden nächsten Kinder das falsche Geschlecht hatten, war die Frustration meiner Eltern weiter gestiegen. Seit ich selbst schwanger war, dachte ich häufiger an meine Kindheit. Sie war irgendwie realer geworden, wie eine Narbe oder ein Muttermal, das man sein Leben lang trug. Gerade das Bewusstsein, dass ich bei der Erziehung meines eigenen Kindes so viel falsch machen konnte, jagte mir Angst ein. In dreißig Jahren würde mein Kind womöglich auf der Couch eines Psychiaters über die Neurosen weinen, die es mir zu verdanken hatte, oder in einer Kneipe hocken und seine Erinnerungen im Alkohol ertränken …
Ich schüttelte die unerquicklichen Gedanken ab und ging in die Kantine. Der Wursteintopf schmeckte nach nichts, und das Schwarzbrot, das es dazu gab, musste ich mir aus Angst vor Sodbrennen verkneifen. Zum Glück saß Pihko auch gerade beim Essen, sodass ich ihn beauftragen konnte, die Fingerabdrücke zu besorgen. Er sollte mit Ulrika Weissenberg anfangen, die sicher protestieren würde.
«Sag bitte auch Janne Kivi Bescheid, er kann seinen Wagen abholen. Und erkundige dich nach Müllsäcken.»
Pihko machte große Augen, aß jedoch als wohlerzogener Mensch den Mund leer, bevor er fragte, warum.
«Die Mülltonnen im Einkaufszentrum sind natürlich längst geleert, da werden wir keinen blutverschmierten Müllsack mehr finden. Ach übrigens … der goldfarbene BMW ist nicht unbedingt das einzige Auto der Weissenbergs. Vielleicht haben sie einen Renault Clio als Zweitwagen. Überprüfst du das bitte?»
All das waren nur zusammenhanglose Ideen, verzweifelte Versuche, neue Ermittlungsstränge zu finden. Im selben Moment kam Puupponen in die Kantine, fragte mich nach einem ganz anderen Fall und bat mich nach dem Essen noch in sein Büro, um Einzelheiten zu besprechen. Ich schaffte es nur knapp, meinem redseligen Kollegen zu entkommen, bevor Ulrika Weissenberg eintraf.
Pihko hatte unterdessen bereits festgestellt, dass die Weissenbergs tatsächlich einen Zweitwagen besaßen, allerdings keinen Renault, sondern einen großen schwarzen Volvo. Er erklärte sich bereit, in den Berichten nachzulesen, ob ein solcher Wagen in Matinkylä gesehen worden war.
Das Stück Fingernagel war mir auf meine Anforderung hin aus dem kriminaltechnischen Labor geschickt worden. Es war vielleicht drei bis vier Millimeter lang und hatte unregelmäßige Ränder. Der Lack schien die gleiche Farbe zu haben, die ich an Ulrika Weissenbergs Nägeln gesehen hatte, doch diese flüchtige Beobachtung genügte natürlich nicht.
Frau Weissenberg kam einige Minuten zu früh. Ihre schwarzen Haare waren diesmal zu einer prachtvollen Lo-ckenmähne toupiert, offenbar kam sie direkt vom Friseur.
Für das Makeup hatte sie Purpurtöne gewählt, die mit dem dunklen Violett ihres Kostüms und ihrer Seidenbluse harmo-nierten. Wie lange mochte sie brauchen, um sich
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