Die Todesspirale
Armaturenbrett hinterlassen hatten. «Ich kann ihn also mitnehmen?»
«Ja. Wir melden uns, falls die Untersuchungsergebnisse es nötig erscheinen lassen. Fahr in den nächsten Tagen nicht allzu weit weg, ohne uns zu informieren.»
«Bis Helsinki darf ich wohl?»
«Ja, aber nicht weiter», sagte ich und verließ die Garage.
Vom Benzingestank bekam ich Kopfschmerzen. Ich beschloss, zur Erholung zu Fuß nach Flause zu gehen. Nördlich der Ausfallstraße war noch Verkehrslärm zu hören, doch als ich nach einem kurzen Spaziergang über die Felder das Wäldchen an der IsonHenttaantie erreichte, wurde es still.
Die Landschaft war seit Jahrzehnten unverändert. Auf einigen Feldern sprießte das erste Grün, andere waren braun, frisch gepflügt und rochen nach Pferdemist. Das Getreide, das hier bald gesät wurde, würde heranwachsen wie mein Kind, und Ende August waren beide reif. Die Vorstellung, dass mein Kind zur Erntezeit geboren wurde, war atemberaubend, überhaupt hatte ich mich das ganze Frühjahr hindurch so intensiv als Teil der Natur empfunden wie nie zuvor. Ich hatte Schnüppchens erste Bewegungen gespürt, als in der Birke vor unserem Haus die erste Amsel tirilierte, als der erste Huflat-tich aus der Erde drang, hatte ich zu unterscheiden gelernt, in welcher Richtung das Baby in meinem Leib herumschwamm.
Im Sommer würde ich Erdbeeren und weiße Rüben essen und rund werden wie eine reife Frucht. Und wenn das Korn aus den Ähren fiel, würde mein Kind sein eigenes Leben beginnen und seinen Eltern sagen, wer es eigentlich war.
Doch der Spätsommer schien in weiter Ferne zu liegen, denn als ich in den Weg zu unserem Haus einbog, schlug mir Schneeregen ins Gesicht. Einstein saß maunzend auf der Treppe. Ich öffnete die Tür, im Flur herrschte Chaos. Antti kramte in den Hängeschränken.
«Was suchst du?»
«Die Reservekette für mein Fahrrad. Ich hab sie doch im Herbst da oben verstaut, oder?»
«Keine Ahnung. Lass mich mal vorbei.»
Stattdessen nahm Antti mich in die Arme. Sein Gesicht war ölverschmiert, der ganze Kerl roch nach Fahrradöl.
Schnüppchen trat durch meinen Bauch hindurch nach Antti und brachte uns beide zum Lachen. Schließlich liebten wir uns inmitten der verstreuten Kleidungsstücke.
«Weißt du, was mir der Mann deiner Schwester erzählt hat? Wovor er Angst hatte, als Eva schwanger war und sie sich geliebt haben?», fragte Antti plötzlich grinsend und hielt in seinen Bewegungen inne.
«Was denn?»
«Dass das Baby zuguckt», lachte Antti.
«Na, das tut es doch die ganze Zeit! Über so was redet ihr also unter Männern?» Dann verschloss Anttis lachender Mund meine Lippen, seine Zunge tastete sich suchend vor, sein Bauch bog sich über meiner Rundung, und drei wurden eins.
Am liebsten hätte ich Antti gar nicht mehr losgelassen, doch ich hatte mir vorgenommen, noch in «Tommy’s Gym»
zu gehen. Ich wollte etwas für meine Fitness tun und neben-bei mit Tomi Liikanen reden.
«Hat dir unsere Gymnastik nicht gereicht?», fragte Antti, der mitten im Wohnzimmer sein Fahrrad putzte.
«Ja, ja, du liebst mich bekanntlich bis zur Erschöpfung.
Aber ich geh trotzdem, mit letzter Kraft», gab ich zurück. Weil es regnete, tat ich etwas, was ich eigentlich für lächerlich hielt: Ich fuhr mit dem Wagen zum Fitnesscenter.
«Tommy’s Gym» befand sich am Ortsrand von Olari, im Keller eines sechsstöckigen Hauses. Der Eingang wirkte nicht besonders anziehend, die Tür war fest verschlossen. Ich holte meine Zugangskarte aus der Tasche, sie war noch einen Monat gültig. Im Prinzip saß nur von elf bis drei eine Aufsicht in «Tommy’s Gym», doch der Besitzer war oft auch außerhalb dieser Zeit anwesend. Dass man das Center von morgens um sechs bis Mitternacht benutzen konnte, fand ich besonders bequem. Ein paar Mal war ich die einzige Besucherin gewesen, zudem war die Anlage so verwinkelt, dass man in manchen Ecken die anderen Benutzer gar nicht zu Gesicht bekam. Auch jetzt waren nur wenig Leute da, darunter glücklicherweise Tomi Liikanen. Er schien sich voll auf seinen rechten Bizeps zu konzentrieren, den er im Spiegel betrachtete, während er eine zwanzig Kilo schwere Hantel stemmte.
Ich rief ihm einen Gruß zu und ging in den asketischen, nach Putzmitteln riechenden Umkleideraum. Dort zog ich mir gerade das Sporthemd über, als ich eine bekannte Stimme hör-te:
«Hallo, Maria, was machst du denn hier?»
Silja Taskinen stand hinter mir und trank Wasser. Beim Hereinkommen hatte ich
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