Die Todesspirale
Kleiderschrank. Er war vielleicht einsfünfundsiebzig groß, brachte jedoch sicher hundert Kilo auf die Waage. Überschüssiges Fett war allerdings nur in der Bauchgegend zu erkennen. Bei jeder Muskelbewegung wanden sich auf seinen Oberarmen tätowierte Schlangen. Die tabakbraunen Haare waren kurz und stark gekräuselt, so kraus wie die dichte Brustbehaarung, die er vor Bodybuilder-Wettkämpfen wahrscheinlich abrasieren musste. Sogar in den leicht abstehenden Ohren wuchsen krause Härchen.
Elena trat hinzu, sagte etwas, dann kam sie mit Liikanen in die Fahrradecke.
«Hier ist mein Mann, fragen Sie ihn selbst, ob ich am Abend von Nooras Unfall zu Hause war», begann sie her-ausfordernd.
«Du warst schon öfter hier, ich erinnere mich», sagte Tomi Liikanen neugierig zu mir, «ich hatte keine Ahnung, dass du Polizistin bist. Was willst du wissen? Ich helf gern.»
Er gehörte offenbar zu der stetig wachsenden Schar von Menschen, die das Siezen nie gelernt haben. Also duzte ich ihn auch:
«Deine Frau hat sich anfangs erinnert, dass ihr letzten Mittwoch gemeinsam die Eishalle verlassen habt und nach dem Einkaufen nach Hause gefahren seid. Sie meinte, ihr wärt die ganze Zeit zusammen gewesen und hättet die Wohnung an dem Abend nicht mehr verlassen. Nooras Mutter sagt aber, du hättest sie am selben Abend kurz vor sieben von hier aus angerufen, weil du ein Schmuckstück von Noora gefunden hattest. Wie war es denn nun?»
«Von welchem Abend sprichst du?» Seine Ratlosigkeit wirkte echt.
«Na, von Mittwoch letzter Woche, erinnerst du dich nicht?
Ich hatte beim Training einen Wutanfall wegen dieser Werbe-geschichte!», mischte sich Elena ein. Ich hätte es vorgezogen, allein mit Tomi Liikanen zu sprechen, aber was sollte ich machen.
«Am Mittwoch … Da hat doch dieser Lindroos angerufen, als wir aus dem Laden kamen, erinnerst du dich nicht, Elena?
Er wollte Trioxin Powerdrink kaufen, deswegen bin ich herge-kommen. Ich betreibe nämlich neben dem Fitnesscenter einen Importhandel mit Sportlernahrung», setzte Liikanen er-klärend hinzu. Das wusste ich längst, denn die Wände waren mit Reklame für Proteingetränke und Eisentabletten gepflas-tert. «Ich hab Elena zu Hause abgesetzt und bin hergefahren.
Hinter dem Tresen hab ich plötzlich Nooras Kette gefunden.
Sie hatte irgendwann mal beim Weggehen danach gesucht.
Deshalb hab ich angerufen. Aber Nooras Mutter meinte, ich sollte Elena die Kette zum nächsten Training mitgeben.»
Tomi Liikanen machte also kein Hehl daraus, dass er tatsächlich im Fitnesscenter gewesen war, etwa eine halbe Stunde lang, wie er auf meine Frage erklärte. Im Prinzip hätte er Zeit für einen Abstecher nach Matinkylä gehabt.
«Kann ich die Telefonnummer von diesem Lindroos haben?», fragte ich schnaufend. Ich hatte während des Gesprächs unablässig gestrampelt, weil mir das irgendwie na-türlicher erschien.
«Wieso? Ich hab doch nichts getan!»
«Nun gib sie ihr schon», drängte Elena. «Ich habe mich ge-irrt, weiter nichts. Ich war zu Hause und habe gekocht, Irina kann es bezeugen, sie saß in ihrem Zimmer über den Hausaufgaben. Dort drüben ist sie, Sie können sie gleich fragen.»
«Schon gut», sagte ich rasch. Ich wusste, dass die Familie Liikanen Grigorieva zwei Autos besaß, einen auf die Firma eingetragenen Lieferwagen und einen alten Saab. Auch Elena hätte es in einer halben Stunde von ihrer Wohnung zum Eisstadion und zurück geschafft. Doch da ich keinerlei Indizien gegen sie hatte, sah ich keinen Grund, die elfjährige Irina zu vernehmen, die sich an der Ballettstange neben der Verkaufstheke akrobatisch verrenkte. Die Stange wirkte in dieser Umgebung wie ein Fremdkörper, sicher war sie auf Elenas Wunsch angebracht worden.
Die letzten fünf Minuten fuhr ich mit stärkerem Widerstand, der Schweiß floss in Strömen, und ich wischte mir das Gesicht am Hemd ab. Als der Zeitnehmer endlich piepte, war ich reif, in der Frauengarderobe Wasser zu holen. Getränke-automaten gab es in «Tommy’s Gym» nämlich nicht. Ich stieg vom Rad, drehte mich um und sah Rami Luoto und Janne Kivi hereinkommen. Mein erster Impuls war, die Flucht an-zutreten, doch stattdessen schritt ich mit hocherhobenem Kopf und eingezogenem Bauch zum Umkleideraum. Während Rami höflich grüßte, begnügte sich Janne mit einer Kopfbewegung, die man mit gutem Willen als Nicken auf-fassen konnte. Natürlich verstand ich seine ablehnende Haltung. Ich war eine ständige Erinnerung an Nooras ge-waltsamen
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