Die Todesspirale
in dem Versuch, sie zu trösten. Auch wenn Laura äußerlich unverletzt war, schien es mir doch geraten, sie zum Arzt zu bringen. Aber zuerst mussten wir die Mutter finden.
Sie arbeitete in einer Apotheke und war natürlich entsetzt, als sie erfuhr, was passiert war. Der Kinderschänder war seit Wochen allgemeiner Gesprächsstoff, und Lauras Mutter machte sich Vorwürfe, weil sie ihre Tochter allein von der Schule nach Hause gehen ließ. Wir brachten beide zum Arzt, vor allem die Mutter schien ein Beruhigungsmittel nötig zu haben. In einigen Tagen würde Pertsa die Kleine dann befragen.
Ich verstand Lauras Mutter. In Finnland konnte man Kinder durchaus allein den Schulweg zurücklegen lassen, sobald sie gelernt hatten, sich vor dem Straßenverkehr in Acht zu nehmen. Wie sollten Berufstätige ihre Kinder denn auch zur Schule bringen und wieder abholen? Sollte man jemanden bezahlen, der das übernahm? Woher das Geld nehmen?
Diese Fragen stellte Lauras Mutter immer wieder, sie fürchtete wohl den Vorwurf, ihre Achtjährige vernachlässigt zu haben.
«Na, bist du zufrieden?», fragte Koivu, als wir endlich auf dem Weg zum Präsidium waren.
«Du meinst, weil wir den Kerl vor Pertsa geschnappt haben? Ich weiß nicht. Ich fühl mich irgendwie leer.»
Koivu grinste, denn mit meinem runden Bauch wirkte ich ganz und gar nicht leer. Aber ich triumphierte tatsächlich nicht. Dass wir den Täter erwischt hatten, war keineswegs das Ergebnis detektivischen Genies, sondern purer Zufall gewesen. Wem war die Festnahme zu verdanken, Lauras Schutzengel vielleicht?
«Ich möchte doch noch nicht ins Präsidium. Lass uns erst nochmal zu dem Wäldchen in Koukkuniemi fahren.»
Achselzuckend nahm Koivu die Auffahrt. Vor uns fuhr ein weißer Lieferwagen mit dem grünen Schriftzug «Tommy’s Gym». In der Hektik des Tages hatte ich mein gestriges Abenteuer im Fitnesscenter fast vergessen. Wer saß am Steuer, Liikanen selbst oder die Grigorieva?
«Fahr neben ihn», bat ich Koivu, als der Lieferwagen auf die Spur einscherte, die zur Tankstelle führte, und an der roten Ampel hielt. Elena Grigorieva saß am Steuer, ihre Tochter Irina auf dem Beifahrersitz. Sie sahen nicht zu uns herüber, sondern sprachen aufgeregt miteinander, Irina schüttelte den Kopf und Elena gestikulierte heftig. Dann sprang die Ampel um, und sie fuhren an die Tankstelle.
«Wir folgen ihnen, ich hab ein paar Fragen wegen der Kufenschoner.»
Elena Grigorieva hatte bereits angefangen, den Tank zu füllen, sie verzog dabei das Gesicht, als sei ihr der Benzingestank zuwider.
«Guten Tag, Frau Grigorieva», sagte ich munter. Sie fuhr erschrocken zusammen und hätte fast den Stutzen fallen lassen. Etwas Benzin spritzte auf die Erde und auf ihren linken Schuh.
«Um Himmels willen, Sie haben mich erschreckt!»
«Entschuldigung. Nur eine Frage: Haben Sie Noora veran-lasst, Appetitzügler zu nehmen?»
«Wie bitte?» Sie hängte den Schlauch ein, nahm ein Stück Papier aus der Tasche und drehte mit der so geschützten Hand den Tankverschluss zu. Dann sah sie mich mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck an.
«Was reden Sie da? Davon höre ich zum ersten Mal! Noora hatte doch keine Appetitzügler nötig!»
«Eben, aber in ihrem Urin wurde Fentermin gefunden, das den Appetit dämpft. Es steht auf der Dopingliste.»
«Doping! Ich hätte Noora umgebracht, wenn sie …»
Zu spät merkte sie, was ihr da entschlüpft war, und schlug die Hand vor den Mund, als wollte sie ihre Worte ungesagt machen. War es so gewesen? Hatte die Trainerin von den Pillen erfahren, war es darüber zum Streit gekommen? Aber ich wusste ja, wie leicht man so etwas sagte.
«Sie hätten Noora umgebracht, wenn Sie gewusst hätten, dass sie ihre Karriere aufs Spiel setzt», ergänzte ich.
Elena Grigorieva warf einen Blick zum Wagenfenster, hinter dem ihre Tochter uns verwundert ansah.
«Ich habe es aber nicht gewusst! Das schwöre ich! Sonst wäre ich eingeschritten.» Die Hand bereits am Türgriff, fragte sie plötzlich: «Waren Sie diejenige, die gestern in Tomis Fitnesscenter festsaß?»
«Ja.»
«Das Verriegelungssystem hat schon öfter Probleme gemacht!» Wenn die Grigorieva aufgeregt war, kam der russische Akzent stärker durch, doch im Übrigen sprach sie wirklich ausgezeichnet finnisch. «Ich werde dafür sorgen, dass Tomi es reparieren lässt, und wenn er dafür einen Kredit aufnehmen muss! Sonst passiert noch was!»
Ihre Besorgnis wirkte echt, aber warum regte sie sich so auf? Ich
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