Die Toechter der Familie Faraday
die Zeit bis zum Grab. Gönne mir noch ein paar schöne Tage. Wer übernimmt eigentlich dieses Jahr das Kochen?«
»Wer wohl? Da muss ich scharf nachdenken …«
»Welches Land ist es dieses Jahr?«
»Thailand, wie du sehr wohl weißt. Du warst doch die ausschlaggebende Stimme.«
»Thailand, natürlich. Ich rufe dich an, sobald ich in Belfast am Flughafen bin. Versprochen. Ich sag dir Bescheid, wenn ich auf dem Weg bin.«
»Das wäre großartig.« Er war in Gedanken schon wieder ganz woanders, das hörte sie an seiner Stimme. »Bis bald, Leo.«
Sie legte auf und ging in die Küche zurück. Selbst wenn sie gewollt hätte, es war schwer, Leo lange Zeit böse zu sein. Einen achtundsiebzigjährigen Vater, der das Umgarnen anderer Menschen zu seinem Hobby erkoren hatte, konnte man nur bewundern. Myles hätte dem widersprochen. Sie hatten im Laufe der Jahre häufig darüber gestritten. »Ja, er ist ein Charmeur, aber er manipuliert euch alle. Das ist dir doch hoffentlich bewusst. Er lässt auch nie unerwähnt, wie viel er für euch alle getan hat.«
»Wie kannst du so etwas sagen? Du weißt doch, wie großzügig er mit seinem Geld ist, mit allem. Ohne seine Hilfe hätten wir nicht halb so schnell expandieren können.«
»Aber an Leos Geld waren weit mehr Bedingungen geknüpft, als dem abgebrühtesten Bankmanager je einfallen würden. ›Ihr sollt euch jedes Jahr zu mindestens einer Weihnachtsfeier einfinden, ob ihr wollt oder nicht …‹«
»Wir wollen aber.«
»›Ihr sollt stets einen Raum in eurem Hause bereithalten, damit Leo kommen kann, wann es ihm passet.‹«
»Das ist doch selbstverständlich. Ich werde doch meinen Vater nicht abweisen. Er ist ein alter Mann, Myles.«
»Ein alter Mann, der daran gewöhnt ist, seinen Willen durchzusetzen. Ihr fünf – ihr vier – habt doch nach seiner Pfeife getanzt, solange ich dich kenne.«
Juliet war rasend vor Wut gewesen. Vielleicht, weil er ein ganz klein wenig recht hatte. Aber wie konnte er es wagen? Er hatte gut reden, seine Eltern erfreuten sich eines höchst komfortablen Rentnerlebens in Spanien. Die Familie bedeutete Juliet viel. Das war immer schon so.
Es war Zeit, weiterzuarbeiten und all die negativen Gedanken beiseitezuschieben. Ihr kam ein Spruch aus den Tagen im Hobart-Café in den Sinn: »Man muss aus allem das Beste machen.« Es war erstaunlich, wie tröstlich diese Klischees sein konnten. Ablenkung ist die beste Medizin, hatte es dort auch geheißen. Denn selbst wenn sie dieses Jahr nur zu dritt waren, gab es immer noch genügend Arbeit.
Juliet hatte bereits einige Vorräte in den großen Kühlschrank geräumt, aber auf den hölzernen Regalen und dem großen Tisch warteten noch immer Kartons und Papiertüten. Der kleine Laden im Ort hatte das Nötigste, aber die Zutaten, die sie dieses Jahr brauchte – Kokosmilch, Koriander und Zitronengras -, konnte sie dort nicht erwarten. Im Jahr zuvor hatten sie italienische Weihnachten gefeiert. Davor deutsche. Oder österreichische? Sie konnte sich nur noch an Wiener Schnitzel erinnern. Und dass Leo mit viel Pathos »O Tannenbaum« geschmettert hatte.
Sie war ja selbst schuld. Der Vorschlag mit den multikulturellen Juli-Weihnachtsfesten stammte von ihr. Die Idee war ihr vor zwölf Jahren gekommen, als Hobart noch Versammlungsort der beiden jährlichen Weihnachtsfeiern war. Das Juli-Menü hatte sich im Laufe der Jahre kaum verändert: gebratener Truthahn, knusprig goldbraune Bratkartoffeln, vier verschiedene Sorten gegrilltes Gemüse – frische Erbsen, Rosenkohl, Pastinaken und Möhren -, noch leicht knackig, so wie alle es mochten. Hausgemachte Bratensauce. Zum Nachtisch einen traditionellen Plumpudding, den sie immer zwei Monate zuvor nach einem Rezept aus den handschriftlichen Kochbüchern ihrer Mutter gemacht hatte. Juliet hatte den Kuchen, wie früher ihre Mutter, am dunkelsten, kühlsten Platz in der Küche gelagert, jede Woche ein wenig Brandy in die Schüssel gegeben und mit Genuss das reiche Rosinenaroma eingeatmet. In jenem Jahr hatte sie einen Fruchtkuchen mit einer dicken weißen Glasur gemacht. Maggie war ihr auf Schritt und Tritt gefolgt, als Junior-Assistentin, und hatte feierlich zugesehen, wie Juliet den Teig machte. Sie hatte ihr geholfen, die Sultaninen und geriebenen Obstschalen für die Mince Pies abzuwiegen, den Puderzucker auf die Teigdeckel zu sieben, das Gebäck auf Teller zu legen und jedes mit einem kleinen Zweig aus künstlichem Ilex zu dekorieren.
Plötzlich war Juliet von
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