Die Toechter der Familie Faraday
hatte. Was sie wohl denken würde, wenn sie wüsste, dass ihre Idee mit dem Juli-Weihnachtsfest immer noch zelebriert wurde, nach all diesen Jahren?
Juliet hatte drei Jahre zuvor versucht, die Tradition der Donegal-Treffen zu beenden. In dem schrecklichen Jahr, als sie und Myles nur noch gestritten hatten. Sie hatte keine Energie für ihre Familie gehabt und rief Leo an, um es ihm zu sagen und ihn zu bitten, es auch den anderen zu sagen. Es hatte einen Sturm der Entrüstung gegeben, am heftigsten ausgerechnet von Miranda.
»Was soll das heißen, du bläst alles ab? Das geht nicht. Das ist unser Weihnachten, nicht deines.«
»Dann organisier du es doch.«
»Aber du bist die Köchin. Und du bist so gut. Es würde Leo umbringen. Und du weißt, was es für Maggie bedeutet. Sie hat doch sicher längst all ihre Geschenke beisammen. Juliet, wie kannst du so selbstsüchtig sein?«
Das war starker Tobak. Ausgerechnet aus dem Mund von Miranda, der Selbstsucht in Person. Der Frau, die in ihrem ganzen Leben nichts getan hatte, was nicht in ihre Pläne passte. Juliet war außer sich vor Wut gewesen. Wenn Myles damals noch die Geduld gehabt hätte, mit ihr über ihre Familie zu reden, hätte er gesagt: »Das ist doch Schnee von gestern, Juliet. Lass die Vergangenheit ruhen.« Aber das konnte sie nicht. Sie hätte Gras über die Sache wachsen lassen, versuchen können, ihr Leben weiterzuleben, aber all die Kämpfe und Zwistigkeiten nagten wie kleine Geschwüre an ihr.
Sie hatte das Juli-Weihnachtsfest dann natürlich doch abgehalten. Sie war, wie üblich, eine Woche zuvor nach Irland geflogen, hatte die ganze Zeit in der Küche gestanden, und natürlich war Miranda angerauscht, um sich die meiste Zeit mit Freunden in England und Irland zu treffen, und war dann wieder abgerauscht. Juliet hatte kaum Gelegenheit gehabt, mit ihr zu sprechen.
Als sie das Leo gegenüber erwähnte, hatte seine Antwort sie noch mehr frustriert.
»So ist Miranda nun einmal, Juliet, das weißt du doch. Ein Irrwisch.«
»Und warum lassen wir ihr das durchgehen? Jahr um Jahr um Jahr?«
»Weil wir es eben tun.«
»Aber was, wenn ich mich so aufführen würde? Die Einkäufe vergessen? Lieber ausschlafen statt kochen würde?«
»Aber das würdest du nicht, Juliet, das ist der Unterschied. Wir haben uns immer auf dich verlassen können.«
»Wie schaffst du das nur, Juliet?«, hatte Miranda im Jahr davor geziert gefragt. »Und noch dazu mit leichter Hand.«
Mit leichter Hand? , hätte sie beinahe geschrien. Nichts ging mit leichter Hand. Es war eine regelrechte Plackerei. Aber Miranda war schon wieder fort, um auszupacken oder einen der vielen beschissenen Verehrer anzurufen, die sie in ihrem beschissen tollen Leben hatte …
Das Handy piepte, eine Textnachricht.
Von Myles. Er war auf Geschäftsreise in Glasgow.
Alles o.k.?
»Bestens« , schrieb sie zurück. Warum ihm die Wahrheit erzählen? Er hatte längst genug von ihren Familiendramen.
Juliet kehrte ins Haus zurück, machte sich eine Tasse Tee und ging ins Wohnzimmer. Sie stellte sich vors Fenster, um auf das Meer und den Himmel zu schauen. Das Wetter hatte sich innerhalb der letzten zehn Minuten schon wieder dramatisch verändert, das Blau des Himmels wurde von einem grauen Dunstschleier getrübt. Juliet hatte wilde Regenstürme mitten im Juli erlebt und im Oktober unerwartet warme Tage am Strand verbracht. Es reizte sie, über den Besuch von Miranda und Leo hinaus zu bleiben. Vielleicht sollte sie das einfach tun. Im Betrieb wurde sie ohnehin nicht mehr gebraucht. Selbst Myles wurde kaum noch gebraucht. Es lief inzwischen mehr oder weniger von allein. Natürlich prüfte sie die wöchentlichen Geschäftsberichte, ging zu den Treffen mit ihren gewitzten Bereichsmanagern, studierte die Zahlen und hinterfragte manche Entscheidung, aber wenn sie und Myles gewollt hätten, hätten sie sich vor Jahren schon aus dem Geschäft zurückziehen können. Sie hatten mehr Geld, als sie ausgeben konnten. Und sie mussten nichts zurücklegen, um Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen, den Start ins Geschäftsleben zu erleichtern oder ein hübsches Polster für ihr erstes Eigenheim anzusparen.
Doch Geld konnte nur vor Dingen schützen, die zu erwarten waren. Ein großes Haus bot Schutz vor kaltem Wetter, Essen Schutz vor Hunger, detaillierte Geschäftspläne vor Misserfolg. Aber wozu war all das Geld gut gewesen, als den Faradays wirklich traurige, unerwartete Dinge widerfahren waren? Das Drama mit Sadie.
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