Die Toechter der Familie Faraday
ohne anzuhalten, aus einer Nebenstraße gekommen und Eliza direkt in die Seite gefahren. Sie war bewusstlos geworden. Der linke Arm war gebrochen, als sie gegen das Lenkrad geschleudert wurde. Am schlimmsten aber war das große Metallstück von der Stoßstange des Lastwagens, das sich bei der Wucht des Zusammenpralls verbogen und ihren Oberschenkel, Muskeln und Sehnen wie ein Messer durchschnitten hatte. Ausgerechnet dieses Metallstück hatte ihr aber auch das Leben gerettet, denn es hatte die Blutung gestoppt, bis die Sanitäter Eliza aus ihrem Wagen herausschneiden konnten.
Sie hatte drei Wochen im Krankenhaus gelegen und dann zwei weitere Monate in einer Reha-Klinik verbracht. Ihr hatte eine ungewisse Zukunft gedroht. Leo war im ersten Monat nach Melbourne gekommen und hatte sie täglich besucht. Danach hatten Clementine und Miranda abwechselnd Urlaub genommen und so oft wie möglich nach ihr gesehen. Maggie war an den Wochenenden gekommen und hatte ihr alle paar Tage Post geschickt.
Eliza wollte kein Mitleid. Sie wollte die Wahrheit. Die Ärzte hatten es ihr schließlich gesagt. »Wenn Sie alle Übungen machen, wenn Sie die Schmerzen während der Reha durchstehen, werden Sie wieder gehen, aber Sie werden niemals wieder Sport treiben können.«
Mark war eine Woche vor ihrer Entlassung erschienen. Die Kunde von ihrem Unfall hatte sich verbreitet. In den ersten Wochen hatte Eliza noch Karten und Blumen von ihren Klientinnen erhalten, aber als sich abzeichnete, dass ihre Genesung sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde, kamen die ersten vorsichtigen Anrufe. Sie würde doch sicher verstehen, dass sie zu einer anderen Trainerin gingen, natürlich nur, bis sie wieder auf den Beinen war.
Als Mark ins Zimmer gekommen war, war ihr erster Gedanke gewesen, dass er ihre Klienten stehlen wollte. Er musste das Funkeln in ihren Augen gesehen und ihre Gedanken erraten haben.
»Ich bin kein Aasgeier.«
»Was willst du dann?«
»Ich hab gehört, du kannst nie wieder laufen.«
»Das heißt es.«
»Schwachsinn.«
»Wie bitte?«
»Ich sagte, Schwachsinn, Faraday. Natürlich wirst du wieder laufen.«
»Und wie soll das gehen?«
»Mit meiner Hilfe.«
Und damit war ihre Freundschaft wieder besiegelt. Eliza fragte nicht nach seiner Frau und seinen Söhnen. Irgendwann erwähnte er sie beiläufig.
»Ihr seid noch zusammen?« Ein Nicken. Seither hatten sie nie wieder darüber gesprochen.
Er hielt Wort. Er half ihr, wieder gehen zu lernen. Zusammen mit zwei Physiotherapeuten. Er brachte sie auch wieder zum Laufen. Sie würde niemals wieder so schnell oder so fit wie früher sein. Dafür waren ihre Verletzungen zu schwerwiegend, ihr Körper nicht stark genug, sein Eigengewicht bei Bewegung zu tragen. Aber Eliza bewies den Ärzten, dass sie sich geirrt hatten. Langsam baute sie ihren Körper und ihre Muskeln wieder auf. Es kam der Tag, zehn Monate nach ihrem Unfall, da schaffte sie es, einen Kilometer zu laufen. Ihre Schritte waren unbeholfen und sie weinte fast vor Schmerz, aber sie hielt durch. Mark war an ihrer Seite.
Er hatte sie vom Sportplatz nach Hause gefahren, ihre Trainingstasche ins Haus getragen und den angebotenen Drink abgelehnt. Er war schon auf dem Weg zur Tür, als sie ihn endlich fragte: »Warum hast du das getan?«
»Herausforderungen haben mich immer gereizt.«
»Warum, Mark? Hattest du ein schlechtes Gewissen?«
Sie hatte auf eine abgedroschene Phrase gewartet. Er hatte sie lange angesehen und dann gesagt: »Weil ich dich liebe.«
Ihr Herz hatte einen Satz gemacht. »Liebe? Du hast mich doch niemals geliebt.«
»Doch, das habe ich. Das tue ich.«
»Wirst du Belinda verlassen?«
»Nein. Aber dich will ich auch nie mehr verlassen.«
»Dann liegt es also bei mir?«
Nicken.
Sie hatte ihn angesehen. Er war ihr so vertraut. Der große, schlaksige Körper, das gebräunte Gesicht, die blauen Augen. Sie hatte niemals aufgehört, ihn zu lieben. »Wie soll das gehen?«
»Das bestimmst du. Ich nehme, was du mir geben willst. Und ich werde dir geben, was immer ich kann.«
Sie hatte nur einen Moment gezögert, dann war sie auf ihn zugegangen. Und hatte ihn geküsst.
Er hatte den Kuss erwidert. Ein langer, hungriger Kuss, der rasch zu mehr wurde. Es war langsam, sinnlich, besonders.
Zwei Abende später trafen sie sich erneut. Dann wieder die Woche danach. Sie trainierten nicht mehr zusammen. Was nun zwischen ihnen geschah, war etwas Neues. Eliza hatte nach dem passenden Wort gesucht. Sexuelle Beziehung?
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