Die Toechter der Familie Faraday
mitzuhalten. »Eine Frau, bitte.« Einen Großvater hatte sie ja. Es wäre schön, eine ältere Frau kennenzulernen, ihren Rat zu hören, ihre Lebensgeschichte, ihre Weisheiten.
Dora kreuzte ein Häkchen auf dem Formular an, das vor ihr lag. »Sehr schön. Ich habe sowieso viel mehr Frauen als Männer auf meiner Liste. Sie überleben die Männer im Verhältnis drei zu eins. Oder sogar vier zu eins? Jedenfalls haben wir reichlich ältere Damen.«
Dora hatte rasch ihre Erkundigungen eingeholt und Maggie gleich losgeschickt. Bislang hatte Maggie drei Kundinnen der Agentur besucht. Die erste, eine weißhaarige Dame namens Lily, mit einem passend weißhaarigen Hund namens Lolly, war so großmütterlich gewesen, dass Maggie heimlich Ausschau gehalten hatte, ob auf ihrem Fensterbrett nicht Apfelküchlein zum Abkühlen standen. Sie lebte im fünften Stock eines Hauses mit Blick auf den Gramercy Park, hatte als Lehrerin an einer exklusiven Privatschule gearbeitet und sprach gerne über englische Literatur. Maggie hatte die Besuche sehr genossen und war entsprechend enttäuscht, als Lily nur einen Monat später von ihrem Enkel gebeten wurde, zu ihm nach Florida zu ziehen.
Die zweite Dame war Greta aus Deutschland, mit einer Miene aus Stahl. Allerdings entzog es sich Doras Kenntnis, dass Greta auch bei einer Agentur namens »Das Alte Europa« gemeldet war. Greta verzichtete an dem Tag auf die Dienste von Doras Agentur, als sie Klaus kennenlernte, einen gleichaltrigen, aus Österreich stammenden Metzger. Drei Wochen später schon zogen sie gemeinsam zu seiner Tochter nach New Jersey. Greta hatte Maggie eine Woche nach dem Umzug eine Postkarte geschickt.
Da Greta die Karte an die Agentur adressiert hatte, hatte Gabriel angerufen und Maggie davon erzählt. Er hatte ihr erklärt, dass seine Mutter einige Tage fort war und er das Büro in der Zwischenzeit leitete.
Maggie hatte an dem Tag noch mit keiner Menschenseele gesprochen. Sie hatte sich nach einer Unterhaltung gesehnt. Gabriel schien ebenfalls froh, mit jemandem reden zu können. Maggie hatte ihm nicht gesagt, dass sie sich genauso einsam wie die alten Menschen fühlte, die sie betreute. Sie hatte nur erwähnt, was für eine wunderbare Einrichtung die Agentur ihrer Meinung nach wäre und dass sie seine Mutter sehr mochte.
»Das beruht auf Gegenseitigkeit«, hatte Gabriel gesagt. »Ihre Akte liegt gleich vor mir. Mutter hat einen goldenen Stern daraufgeklebt. Das ist ein sehr gutes Zeichen.«
»Ich weiß nicht, wie sie es schafft, all die verschiedenen Unternehmen gleichzeitig zu managen.«
»Ich auch nicht. Ich werde immer furchtbar nervös, wenn sie nicht da ist. Was, wenn ich einen Fehler mache? Glasreiniger als Make-up-Entferner verkaufe? Einen der Hunde zu einer alten, einsamen Dame schicke?«
Gretas Postkarte hatte ihn amüsiert. »Vorn drauf ist ein Bild von einem Schnitzel.«
Maggie hatte angeboten, die Karte am nächsten Tag abzuholen, damit er sie ihr nicht schicken musste. Als sie ins Büro gekommen war, hatte Dora wieder am Schreibtisch gesessen.
»Die Götter haben es wirklich gut mit mir gemeint und Sie zu mir geschickt, Ms. Maggie«, hatte Dora gesagt und schon durch ihre Kundenlisten geblättert. »Von jetzt an bekommen Sie die schwierigen Fälle.«
Sie hatte ihre Drohung wahr gemacht. In den folgenden drei Wochen hatte Maggie die furchteinflößende Dolly Leeson besuchen müssen.
Dora hatte sie vorher instruiert. »Ich muss Sie warnen, das ist eine harte Nuss. Ich habe schon alle anderen Mietenkel durch. Bieten Sie ihr die Stirn, das mag sie. Und erzählen Sie mir, wie es gelaufen ist.«
Maggie hatte Dolly am folgenden Tag zum ersten Mal besucht. »Harte Nuss« erwies sich als Untertreibung. Maggie verließ Dollys Apartment mit dem Gefühl, als wäre sie eine Stunde lang durch die Mangel gedreht worden. Dolly war Mitte siebzig, übergewichtig und überaus starrsinnig. In ihrem Apartment herrschte das Chaos, überall lagen Bücher und Zeitungen herum. An den Wänden hingen Gemälde – eine merkwürdige Accrochage aus zarten Landschaftsdarstellungen und kitschigen Bildern mit weinenden Clowns und Hunden, die Pool spielten. In einer Ecke stand eine Sauerstoffflasche auf einem Handwägelchen. Dora hatte Maggie auch darauf vorbereitet. »Sie soll sechs Stunden am Tag an die Flasche. Wenn sie keucht, erinnern Sie sie daran. Sie braucht den Sauerstoff, denn um ihre Gesundheit steht es sehr schlecht. Wenn Sie mich fragen, wird sie nur noch von ihrer
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