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Die Toechter der Familie Faraday

Die Toechter der Familie Faraday

Titel: Die Toechter der Familie Faraday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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ihren Tanten verwöhnt worden. Leo war regelrecht in sie vernarrt. Er hatte ihr den Kopf mit den Geschichten berühmter Erfinder vollgestopft. Als Teenager kannte Maggie die Ursprünge der Elektrizität aus dem Effeff und hätte Vorlesungen über Michael Faraday halten können, Erfinder des Elektromotors und, wie Leo behauptete, ein entfernter Verwandter. Leo war es auch, der von den Mathematik-Wettbewerben gehört hatte. Der Maggie durch ganz Tasmanien gefahren hatte, damit sie daran teilnehmen konnte. Er war jedes Mal vor Stolz fast geplatzt, wenn sie gewann. Er hatte im Wohnzimmer extra ein neues Regal gebaut für ihre Trophäen. Er hatte auch das neue, riesige Notizbrett für all die Zeitungsartikel und Fotos in die Küche gehängt.
    »Du hast Glück, dass sie bei all ihrer Intelligenz nicht auch noch eine Schönheit ist, sonst wäre sie das unerträglichste Kind der Welt«, hatte Miranda einmal gesagt.
    Clementine hatte damals beleidigt protestiert. Später hatte sie sich eingestanden, dass Miranda nicht ganz unrecht hatte. Im landläufigen Sinne war Maggie wirklich nicht schön. Aber sie war ein besonderer Typ. Mit ihrem intelligenten Ausdruck, den dunklen Augen, den kräftigen Brauen, dem breiten Lächeln, der zarten Figur. Selbst ihre Feen-Ohren waren etwas Besonderes und hatten allen Versuchen von Seiten Clementines, sie zu verdecken, getrotzt. Maggie selbst betrachtete sie mit einer Art Hass-Liebe. Mit siebzehn, im ersten Jahr an der Universität, hatte Maggie erklärt, sie wären total cool, und hatte sich einen kessen Kurzhaarschnitt machen lassen, der die Ohren betonte. In den folgenden Jahren wurden ihre Frisuren immer extravaganter und hätten der Leadsängerin einer alternativen Rockband wesentlich besser zu Gesicht gestanden als der besten Mathematikstudentin ihres Jahrgangs. Maggie zog sich auch entsprechend an: Vintage-Mode, schwere Doc Martens, alter Schmuck.
    »Bei dir ist es, als würde man My Fair Lady rückwärts sehen«, hatte Miranda einmal angewidert erklärt, als Maggie bei einem ihrer Besuche in einem violetten Etuikleid im Stil der Sechziger, dunklen Strümpfen und kniehohen Stiefeln erschien. Dazu hatte sie drei Ohrringe im linken und zwei im rechten Ohr getragen. »Ich tue, was in meiner Macht steht, um aus dir eine Dame zu machen, und du kommst mir so an?«
    Maggies Stil war deutlich konservativer geworden, als sie ins Berufsleben eingestiegen war. Sie hatte sich teure italienische Stiefel zugelegt. Aber sie kaufte immer noch in kleinen Boutiquen und Vintage-Läden ein. Auf den ersten Blick wirkte ihre Kleidung angepasst und bürotauglich – Blusen, Röcke und Jacken. Nur bei näherem Hinsehen fielen die ungewöhnlichen Details auf – zerfetzte Säume, applizierte Blumen, handgewebte Stoffe. Das Gleiche galt für ihre Kurzhaarfrisur, scheinbar ordentlich und brav, doch mit asymmetrischem Pony und dezenten Highlights. Maggie spielte immer noch an ihren Haaren und zog sich einzelne Strähnen über die Ohren. Eliza hatte sie gescholten. »Dafür bist du jetzt wirklich zu alt, Maggie.«
    Clementine hätte Eliza niemals als locker bezeichnet, doch mit zunehmendem Alter wurde sie noch distanzierter. »Sie würde einen Witz nicht einmal erkennen, wenn er auf sie zukommen und ihr ins Gesicht lachen würde«, hatte Miranda einmal gesagt.
    Clementine fragte sich, welchen Einfluss New York auf Maggies Kleidungsstil haben würde. Maggie hatte noch keine Fotos geschickt. Gelegentlich kamen Anrufe und Textnachrichten, einige Postkarten. Maggie ging selten ins Detail. Sie hatte freundlich, aber bestimmt erklärt, dass sie in Ruhe gelassen werden wollte. Diesen Wunsch mussten sie respektieren.
    Clementine sah auf die Uhr und rechnete schnell die Zeit in New York aus. Es gab nur ein kurzes Zeitfenster, während dessen sie telefonieren konnten, und jetzt war es nicht günstig. Clementine schloss die Augen, beschwor ein Bild von Maggie herauf und sandte ihr einen Schwall Liebe. Ihren Schwestern gegenüber konnte sie das nicht eingestehen, aber Clementine schickte Maggie oft telepathische Nachrichten. Für Clementine machte das durchaus Sinn. Sie konnte tief in ihre Forschung versunken sein, weit weg in der Antarktis oder allein auf einem fernen Eiland, und doch war ihre Tochter in Gedanken immer ganz nah. Plötzlich erschien Maggies Bild vor ihrem geistigen Auge, woben sich Erinnerungen in ihre Gedanken. Wie sollte man so etwas nennen? Eine spirituelle Verbindung, das Pendant zu einer emotionalen

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