Die Toechter der Familie Faraday
da hatte der Mann keine drei Meter von ihr entfernt gestanden. Der Mann aus der morgendlichen Teepause. Er hatte direkt vor ihr gestanden, mit zitternden Händen.
Dolly wartete. »Los, weiter.«
Maggie schluckte. »Ein Mann, einer unserer Angestellten, ist zu mir nach vorn zum Mikrofon gekommen, hat eine Waffe aus seiner Tasche geholt, sich an den Kopf gehalten und abgedrückt.«
»Er hat sich erschossen?«
»Das hatte er vor. Die Polizei hat später einen Abschiedsbrief gefunden. Aber er hat überlebt. Die Kugel ist in seinen Schädel eingedrungen, in die linke Gehirnhälfte, und dort stecken geblieben. Seither liegt er im Koma. Er hat eine Frau und zwei kleine Kinder. Die Ärzte sagen, es ist fraglich, ob er sich jemals erholen wird. Falls er überhaupt das Bewusstsein wiedererlangt, wird er wohl schwere Gehirnschäden davontragen.«
»Wie furchtbar.«
»Ja, allerdings.«
»Ich wette, der ist stinksauer. All der Aufwand, und dann geht es schief.«
»Dolly!«
»Ich kann ja verstehen, dass Sie das mitgenommen hat, aber warum haben Sie gleich gekündigt?«
»Weil es meine Schuld war. Ich habe doch die Entscheidung getroffen, seine Abteilung zu schließen.«
»Also haben Sie doch nur Ihren Job gemacht, oder? Und dieser Mann hat sehr extrem reagiert. Und da müssen Sie ebenso extrem reagieren?«
»Ich musste da weg. Und ich musste aus London weg. Wie hätte ich bleiben können, nachdem so etwas passiert war?«
»Neigen Sie immer so zum Melodrama?«
Maggie musste sich sehr beherrschen. Sie bedauerte, dass sie Dolly von der Sache erzählt hatte. »Ich hätte Ihnen nichts sagen sollen.«
»Jetzt seien Sie nicht gleich eingeschnappt, nur weil ich Sie nicht mit Mitleid überschütte. War Ihnen Ihr Job denn so zuwider und das Ganze bloß ein willkommener Vorwand?«
»Ich habe meine Arbeit geliebt. Sie drehen mir das Wort im Mund herum.«
»Aber Sie wollten nicht in London bleiben, oder?« Maggie schwieg eine lange Weile. In Dollys direktem Blick lag etwas, das sie zum Sprechen brachte. »Nein. Es hat sich da nicht wirklich gut für mich entwickelt.«
»Außerhalb der Arbeit, meinen Sie wohl? Ärger mit Jungs?«
Maggie nickte.
»Wie heißt er denn?«
Maggie sagte es ihr.
»Schotte, was? Aus Glasgow oder Edinburgh?«
»Edinburgh. Sie kriegen den Akzent aber toll hin.«
»Ich kriege jeden Akzent toll hin. Das war mein Job, ich war Stimmtrainerin am Broadway. Also, was ist mit Angus passiert?«
Maggie erzählte ihr, wie sie nach Hause gekommen war und Angus und Lauren erwischt hatte. Dolly lachte.
»Das war überhaupt nicht lustig, Dolly.«
»Natürlich war es das. Andere bei so etwas zu sehen ist immer lustig. Das Tier mit zwei Rücken, wie Shakespeare es nannte.«
Dolly hatte irgendwo recht, musste Maggie zugeben. Es hatte komisch ausgesehen. Sie fing an zu lächeln.
Dolly sah zufrieden aus. »Was haben Sie dann getan?«
Maggie erzählte ihr auch das. Dolly gefiel besonders, dass Maggie kaltes Wasser über die beiden gegossen hatte. »Wie bei kopulierenden Hunden?« Sie lachte so sehr, dass sie zu röcheln begann. Maggie holte die Sauerstoffflasche und blieb neben ihr stehen, während Dolly fast eine Minute lang tief inhalierte.
Dolly nahm einen weiteren Atemzug und sah Maggie lange an. »Ein versuchter Selbstmord vor Ihren Augen und ein untreuer Freund im eigenen Heim. Ich frage mich, was als Nächstes auf Sie zukommt. Sie wissen doch, ein Unglück kommt selten allein.«
»Ich weiß«, sagte Maggie. Sie kannte jedes Sprichwort mit Zahlen. Sie hatte sie über Jahre mit Leo gesammelt. Aller guten Dinge sind drei. Drei sind einer zu viel. Im siebten Himmel. Fünf gerade sein lassen. Nullachtfünfzehn.
»Deshalb sind Sie also hier? Sie sind auf der Flucht?«
»Ich bin nicht auf der Flucht. Ich lege eine Pause ein.«
»Und schikanieren Sozialfälle wie mich.«
»Richtig.«
»Jedenfalls machen Sie den Job nicht gut. Wo bleibt mein Tee? Und machen Sie sich bei der Gelegenheit auch gleich einen.«
Maggie bereitete den Tee vor und entdeckte in einem der Schränke ein überraschend sauberes, zartes Teeservice. Sie setzte sich Dolly gegenüber. Dolly hatte an ihrem Tee kaum genippt (»Bah, widerlich!«), da löcherte sie Maggie schon wieder mit Fragen. Über ihre Kindheit, ihre Familie. »Wenn Sie mich schon zweimal in der Woche mit Ihren Besuchen quälen, will ich wenigstens alles über Sie wissen.«
Maggie gab zu ihrer eigenen Überraschung auf all ihre Fragen bereitwillig Antwort. Sie kam sich
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