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Die Toechter der Familie Faraday

Die Toechter der Familie Faraday

Titel: Die Toechter der Familie Faraday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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anderen Fahrgästen vorbei, wich den Blicken aus, schaute stattdessen auf die Spiegelbilder in den dunklen Fensterscheiben. Wenn sie wüssten, dass sie bald sterben mussten – wenn sie auch nur die geringste Vorahnung hätten -, was würden all diese Leute tun? Was würde sie selbst tun? Die Antwort war offensichtlich. Zu ihrer Mutter eilen, zu Tollpatsch, zu ihren Tanten, so rasch wie möglich.
    Als sie aus der U-Bahn kam, fiel ihr ein, dass sie die Agentur nicht angerufen hatte. Sie musste dort Bescheid sagen. Sie nahm ihr Handy. Es war nach den offiziellen Bürozeiten. Sie war nicht überrascht, den Anrufbeantworter zu hören.
    »Dora, Gabriel, hier ist Maggie Faraday. Ich komme gerade von Dolly Leeson.« Sie machte eine Pause. »Dolly ist heute Nachmittag gestorben.« Sie erzählte kurz, was passiert war. »Ich habe den Notarzt gerufen. Und die Polizei. Die hat sich um alles gekümmert.« Sie wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte, und legte auf.
    Zu Hause duschte sie lange, rubbelte sich die Haut ab, benutzte danach sehr viel Körperlotion, um die Erinnerung an den Geruch von Dollys muffigem Apartment zu überdecken. Sie wollte gerade ihre Jeans anziehen, als sie Dollys Stimme hörte. »Warum machen Sie sich nicht ein wenig zurecht, wenn Sie mich besuchen? Sie würden viel hübscher aussehen.«
    Sie zog das schönste der drei Kleider an, die sie mitgebracht hatte: dunkelrot, schlicht, aber sehr gut geschnitten, und sie legte ihre silbernen Ohrringe an, trug Make-up und Lippenstift auf. »Schon viel besser. Man muss zeigen, was man hat«, hätte Dolly gesagt.
    Maggie hatte das Gefühl zu ersticken. Sie machte die Fenster weit auf, öffnete die Balkontür und ließ die heiße Luft herein. Sie setzte sich nach draußen. Zwar rauchte sie nicht, aber sie wusste, dass in der Wohnung Zigaretten waren. Sie wühlte in den Schubladen herum und fand ein zerknittertes Päckchen. Gott weiß, wie alt die Zigaretten waren und wem sie gehört hatten. Aber Maggie musste etwas tun, um Dollys Tod angemessen zu würdigen. Whiskey wäre besser, ein großer, kräftiger Schluck irischen Whiskeys oder ein Glas schweren spanischen Weins – etwas, das Dolly gemocht hätte. Maggie hatte keinen Alkohol im Haus und nicht genug Energie, es noch einmal zu verlassen. Sie überwand sich zu einem langen Zug an der Zigarette. Es schmeckte widerlich. Maggie hustete, machte die Zigarette aus, dann wieder an und zwang sich, sie zu Ende zu rauchen.
    Sie stand im Badezimmer und putzte sich die Zähne, um den Geschmack loszuwerden, als das Telefon klingelte. Sie ließ es läuten. Sie hatte den Anrufbeantworter noch nicht wieder angeschaltet. Das würde sie bald tun. Später. Dann klingelte ihr Handy. Sie ging nicht ran. Sie war nicht in der Stimmung, mit jemandem zu sprechen. Kurz darauf hörte sie ihre Mobilbox ab. Es war keine Nachricht hinterlassen worden.
    Beinahe eine halbe Stunde verging. Maggie setzte sich wieder auf den Balkon und lauschte dem Klang der Stadt an einem heißen Sommerabend, als sich die Türsprechanlage meldete. Sie fuhr zusammen.
    »Ray?« Ihre Stimme kam ihr fremd vor.
    »Hi, Maggie«, antwortete der Portier. »Sie haben Besuch.«
    »Wer ist es denn?«
    »Ein Engel namens Gabriel.« Er senkte die Stimme und kicherte. »Flügel hat er aber keine.«
    »Gabriel ist unten?«
    »Soll ich ihn raufschicken?«
    Sie zögerte. »Nein, ich komme runter.«
    Sie betrat den Aufzug. Sie spiegelte sich in den Wänden der kleinen Kabine. Das hübsche Kleid und ihr Make-up wirkten vollkommen deplatziert.
    Im Foyer waren einige Leute, zwei davon sprachen mit Ray. Auf einer Bank beim Fenster saß ein grauhaariger Mann. Er trug ein verwaschenes grünes T-Shirt. Jeans. Schwarze Turnschuhe. Er sah als Einziger zum Aufzug.
    Maggie trat zögernd auf ihn zu. »Gabriel?«
    »Maggie?« Er stand auf. Er war groß, hatte ein ernstes Gesicht. Er war wohl vorzeitig ergraut, denn er konnte höchstens Anfang dreißig sein. »Ich habe Ihre Nachricht wegen Dolly bekommen. Ich habe auf dem Handy und dem Festnetz angerufen, aber es ist niemand rangegangen.«
    »Es tut mir leid, dass ich Ihnen solche Umstände bereitet habe. Aber Sie hätten doch nicht herkommen müssen.«
    »Musste ich, von Gesetzes wegen. Es steht in unseren Geschäftsbedingungen. Wenn etwas passiert, müssen wir nachsehen, ob es Ihnen gut geht. Es wäre nicht fair, Sie mit alldem allein zu lassen. Und ich kannte Dolly schließlich ja auch …«
    In dem Moment flossen Tränen. Sie wischte

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