Die Toechter der Familie Faraday
Neunte und West Seventeenth.«
Als sie ihn nur wenige Minuten später einholte, wartete er auf der Straße. In seinem Gesicht stand geschrieben, dass es ein Problem gab. Ein Blick in die Bar bestätigte das. Jemand anders stand auf der Bühne und spielte Gitarre.
»Du warst zu spät?«, fragte sie.
Er nickte. »Ich bin gerade gefeuert worden.«
»Aber du warst doch nur eine halbe Stunde zu spät.«
»Er hat einen Vorwand gesucht. Das da oben ist sein Neffe. Ich hab dir ja gesagt, in der irischen Barszene geht es zu wie im Haifischbecken.«
»Gabriel, es tut mir so leid. Das ist meine Schuld.«
»Das ist nicht deine Schuld. Es ist Dollys Schuld. Ich gebe ihr die Schuld.« Er sah nach oben und reckte zum Spaß drohend die Faust gen Himmel. »Sie hat immer gesagt, dass sie irische Musik nicht ausstehen kann. Das wäre Musik für melodramatische, mitleiderregende Memmen. Das ist bestimmt ihre Rache.«
Sie waren beide noch ganz außer Atem. Sie traten zur Seite, als sich eine Gruppe neuer Gäste in die Bar drängte. Maggie wurde einen Moment lang gegen Gabriel gedrückt. Sie roch sein Aftershave oder Deodorant – ein dezenter, holziger Duft – und spürte seinen Körper. Plötzlich stand ihr das Bild von Angus’ leicht übergewichtigem, bleichem Leib vor Augen. Dann das Bild von Gabriels Körper, in ihrer Fantasie: gebräunt und schlank. Sie trat schnell einen Schritt zurück, froh, dass ihre roten Wangen unter den blinkenden Lichtern der Bar nicht auffielen.
Gabriel hatte wirklich nichts gemerkt. »Du bist jetzt vermutlich den Tränen nahe vor lauter Enttäuschung, dass du mich nicht singen hörst, aber darf ich dich stattdessen zum Essen einladen? Es sei denn, du hast schon etwas anderes vor.«
Das bedurfte keiner weiteren Überlegung. »Das wäre sehr schön.«
Sie gingen in ein kleines italienisches Restaurant in Greenwich Village. Die Straßen füllten sich mit Menschen, die es in der warmen Sommernacht ins Freie zog.
Maggie und Gabriel wurden zu einem Tisch am Fenster geführt. Im Hintergrund lief Opernmusik, ringsumher war Stimmengemurmel zu hören. Maggie war befangen und zupfte – wie immer, wenn sie nervös war – an ihrem Haar herum und schob es über die Ohren.
»Wenn du meinetwegen versuchst, deine Ohren zu verstecken, dann lass es«, sagte Gabriel wie nebenbei. »Mir gefallen sie nämlich. Sie passen zu dir.«
Maggie errötete wieder. »Tut mir leid«, sagte sie und kämpfte den Drang nieder, sich das Haar erneut über die Ohren zu streichen.
Das Essen war köstlich, der Wein gut, die Unterhaltung lebhaft. Sie besprachen Persönliches, beendeten die Sätze des anderen, fanden Gemeinsamkeiten, brachten sich gegenseitig zum Lachen.
Nach einer langen Geschichte über eine Reise per Anhalter meinte Gabriel entschuldigend: »Ich hätte mir das für einen anderen Abend aufsparen sollen. Jetzt kennst du schon all meine komischen Geschichten. Ich muss wohl erst einmal die Stadt verlassen und ein paar neue schreiben, bevor wir uns das nächste Mal sehen.«
Sie versuchte, sich ihre Freude nicht anmerken zu lassen. Er wollte sie wiedersehen? »Aber eine Geschichte gibt es, die du mir noch nicht erzählt hast. Zwei, genauer gesagt.«
»Zwei?«
»Ich wollte dich fragen, warum du nicht mehr als Kameramann arbeitest. Und du hast mir die Geschichte zu deinen grauen Haaren versprochen.«
»Stimmt, habe ich.« Er rührte Zucker in seinen Kaffee. Er lächelte nicht.
»Gabriel, es tut mir leid. Du musst es mir nicht erzählen.«
»Du musst dich nicht entschuldigen. Ich rede nur einfach sehr selten darüber.«
»Dann lass es, du musst wirklich nicht.«
»Ich möchte aber. Es ist vermutlich an der Zeit.«
Gabriel fing an zu erzählen. Ja, er hatte als Kameramann gearbeitet, bis vor zwei Jahren. Er hatte als Laufbursche bei einem New Yorker Fernsehsender angefangen, den Job hatte er durch einen Freund seiner Mutter bekommen. Ein Jahr später hatte er mit der Ausbildung zum Studio-Kameramann begonnen. Dann, mit zwanzig Jahren, wurde er Kameraassistent für die Lokalnachrichten, wechselte danach in das Washingtoner Studio des Senders. Im Anschluss hatte er eine Weile freiberuflich gearbeitet. Er war ständig auf Achse gewesen, hatte Dokumentationen gemacht, Musikvideos und sogar gelegentlich Werbespots. So zu arbeiten hatte ihm sehr viel Spaß gemacht. Er war auch häufig im Ausland gewesen, für eine Dokumentation nach Venezuela gereist und nach Argentinien, um die Wahlen zu filmen. Dann, drei Jahre
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