Die Toechter der Familie Faraday
Vor und zurück, vor und zurück, doch dabei hatte sie nie alle Stellen erreicht. Es war so ineffizient. Es war nicht etwa die Schuld der Putzfrau. Es lag an der Maschine. Sie hatte die falsche Form, denn sie war vorn rund. Damit konnte man nicht in die Ecken kommen. Sie müsste viereckig sein. Besser noch rautenförmig. Ja, rautenförmig, und mit einem schwenkbaren Besen.
Leo hatte sich einige Notizen gemacht und die Sache dann völlig vergessen. Erst eine Woche später, während eines müßigen Nachmittags in Rom, war er wieder auf seine Notizen und Zeichnungen gestoßen. Seine Fantasie war entfesselt. Er war in das Business-Center des Hotels gegangen, um am Computer einige Recherchen anzustellen und zu sehen, ob schon jemand vor ihm auf die Idee gekommen war.
Er hatte sich auf den Websites umgesehen, auf denen andere Erfinder erste Ideen vermerkten. Nichts. Er hatte die Webseiten der größten Hersteller von Reinigungszubehör aufgerufen. Nein, sie boten alle die gängigen Geräte an. Dann googelte er »gewerbliche Reinigung«. Über zwanzig Millionen Einträge wurden angezeigt. Er hatte gelacht. Na, er hatte ja nichts weiter vor. Er konzentrierte sich auf Firmen, die in Großbritannien registriert waren. Eine Überschrift stach ihm ins Auge. Eine Konferenz, die elf Monate zuvor in Oslo stattgefunden hatte. »Professionelle Reinigung: Die Zukunft ist grün«. Er klickte auf den Link.
Er las sich das Konferenzprogramm durch, sah auf die Liste der Sprecher, scrollte durch die Abstracts. Dann klickte er auf die Seite »Teilnehmer«, aus reiner Neugierde. Dutzende Gruppenfotos, auf denen Menschen in die Kamera lächelten, alle schick angezogen, vermutlich für das Abendessen der Konferenz.
Er hatte sie sofort erkannt. Auf dem dritten Foto, in der ersten Reihe, in einem roten Kleid. Sie sah älter aus – natürlich sah sie älter aus, sie war ja auch zwanzig Jahre älter -, aber sie war es. Sadie. Sadies Gesicht, Sadies Ausdruck. Das leicht unsichere Lächeln. Seine Tochter, die vermisst wurde, seine angebliche Hippie-Tochter, in einer Gruppe von Konferenzteilnehmern, die über die Zukunft industrieller Reinigungsmittel debattierten.
Er hatte sich vom Computer abgewandt, war an den Getränkestand des Business-Centers gegangen, hatte sich eine Tasse Tee geholt und war damit wieder zum Computer gegangen. Er hatte auf »Seite neu laden« geklickt. Die Fotografie erschien erneut. Er hatte versucht, sie zu vergrößern, aber es ging nicht.
Er hatte wieder auf ihr Gesicht gesehen. Er irrte sich nicht. Da lächelte ihm Sadie entgegen.
Neben der Fotografie standen keine Namen, nur ein Satz: »Die Teilnehmer vor dem Konferenzessen. Ein gelungener Abend«.
Eine Woche lang hatte er nichts gesagt oder unternommen. Dann rief er die Organisatoren der Konferenz an. Er glaubte, jemanden auf einem Foto erkannt zu haben. Könnten sie ihm womöglich Namen und Adresse geben? Doch der Mitarbeiter, der die Konferenz organisiert hatte, so erfuhr Leo, hatte den Verband verlassen.
Er kontaktierte die Vereinigung der Gewerblichen Reinigungsbetriebe und stellte dieselben Fragen. Die Frau am Telefon war nicht sonderlich hilfsbereit. Sie hätten europaweit mehr als zweitausend Mitglieder, erklärte sie ihm. Da würde sie ja ein Jahr lang brauchen, um die betreffende Person zu finden.
»Die Frau im roten Kleid auf der Website«, sagte Leo.
»Ich hatte an dem Abend selbst ein rotes Kleid an«, sagte die Frau. »Da müssen Sie mir schon mehr geben.«
Drei Tage später hatte Leo seinem Anwalt am Telefon eine hypothetische Frage gestellt: Wie würden Sie jemanden suchen, wenn Sie allein ein Foto von einer Webseite hätten?
»So wie alle klugen Leute Dinge erledigen. Ich würde jemanden anheuern.«
Es war nicht das erste Mal, dass Leo im Zusammenhang mit Sadie der Gedanke an einen Privatdetektiv gekommen war. In den ersten Jahren nach ihrem Verschwinden hatte er es ernsthaft erwogen. Juliet hatte es ihm ausgeredet. »Wir schreiben ihr jedes Jahr, Dad. Sie weiß doch, dass wir sie sehen wollen. Wenn sie uns nicht sehen will, können wir sie nicht zwingen.«
»Was aber, wenn sie unsere Hilfe braucht? Wenn sie in Schwierigkeiten steckt?«
»Sie will unsere Hilfe nicht. Ich glaube nicht, dass sie in irgendeiner Weise mit uns zu tun haben will.«
Nun aber lagen die Dinge anders. So vollkommen unvermutet auf Sadies Foto zu stoßen war wie ein Zeichen, von Tessa oder vielleicht sogar von Sadie selbst. Vielleicht hatte sich ja manches
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