Die Toechter der Familie Faraday
gefühlt, als sich am Abend zuvor der Sohn eines Gastes an sie herangemacht hatte. Er war Mitte zwanzig, ein wenig unbeholfen und stand eindeutig unter dem Einfluss des teuren Champagners, aber immerhin. Sie hatte ihm charmant einen Korb gegeben.
»Darling, wenn ich mir deinen Körper so ansehe, würde ich durchaus in Versuchung geraten, aber ich könnte doch glatt deine ältere Schwester sein.« Sie hatte natürlich nicht »deine Mutter« gesagt, obwohl das den Sachverhalt eher traf.
Es war schade, dass sie so bald schon aufbrechen musste, aber wenigstens waren die Aussichten für Donegal ein wenig rosiger, wo Maggie nun doch kommen würde, noch dazu mit ihrem unerwarteten mysteriösen Freund – nein, Verlobten! Nicht zu vergessen Eliza und Clementine. Volles Haus. Gott sei Dank.
Sie sah auf die Uhr. Punkt drei, auf die Minute. Perfekt. Sie sehnte sich nach einem Glas Champagner. Sie wickelte ihren gebräunten und fitnessgestählten Körper in einen wehenden Seidenkaftan und setzte sich einen lässigen Sonnenhut und eine große Sonnenbrille auf. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel, noch einmal den blassrosa Lippenstift nachziehen, der überraschend gut zu ihrem roten Haar passte, fertig.
»George?«, rief sie, als sie den kühlen Gang zum Wohnbereich entlangschwebte. »Wo bist du, Darling? Mir ist plötzlich so nach einem ganz speziellen Klang.«
»Aber gewiss, meine Süße«, kam seine Stimme zurück. »Was soll es denn sein? Klassik? Jazz?«
»Weder noch«, sagte sie, als sie auf die Terrasse trat. »Ich dachte eher an das Knallen von Champagnerkorken.«
Clementine telefonierte mit Peter. Sie waren eigentlich für Samstagabend zum Essen verabredet. Er klang nicht begeistert.
»Du kannst nicht mit mir essen gehen, weil du dann in Irland bist? Das hast du so ganz spontan entschieden?«
»In der Tat, ja.«
»Clementine, wenn du nicht mit mir ausgehen willst, dann sag es doch. Du brauchst nicht mit diesen irrwitzigen Ausreden anzukommen.«
»Das ist keine Ausrede. Es ist die Wahrheit.«
»Wirklich? Na, stell dir vor, ich hätte mich am Samstag sowieso nicht mit dir treffen können, ich fliege nämlich zum Mond.« Er knallte den Hörer auf.
Clementine starrte das Telefon an. War das gerade wirklich passiert? Hatte er gerade tatsächlich eingeschnappt aufgelegt? Was war denn heute los? Der Tag hatte doch ganz normal begonnen. Dann aber hatte Leo mit seinen ungeheuerlichen Nachrichten aus New York angerufen. (»Nein, Clementine, ich gebe dir Maggie nicht – du siehst doch beide in weniger als zwei Tagen, also spar dir all deine Fragen bis dahin auf.«) Zehn Minuten später war ein Anruf von Leos Reiseagentur gekommen, um ihr mitzuteilen, dass alles arrangiert war, sie und Eliza waren auf den gleichen Flug nach London in der Businessklasse und dann nach Irland gebucht. Ein Anruf bei Juliet, die alles bestätigte. Es geschah tatsächlich. Und jetzt noch diese kindische Reaktion ihres Möchtegern-Freunds. So viel zu einem normalen Tag.
Kein Wunder, dass sie sich der Erforschung von Vögeln zugewandt hatte, dachte sie, als sie zum Packen in ihr Zimmer ging. Sie waren so viel unkomplizierter als die menschliche Spezies.
34
Sadie Faraday arbeitete im Garten. Sie war wie üblich nach sechs Uhr aus dem Büro gekommen und gleich in ihre Arbeitskleidung geschlüpft. Sie wollte den warmen Sommerabend nutzen und hatte im Vorgarten begonnen. Vor ihrem zweigeschossigen Reihenhaus aus roten Ziegeln war gerade genügend Platz für einige Bodendecker und einen Hängekorb an der Haustür, aber sie war damit zufrieden. Sie mochte es, morgens und abends von den Farben und Gerüchen der Blumen empfangen zu werden.
Mittlerweile war sie im hinteren Garten. Sie musste die verwelkten Rosen aus den drei Büschen entlang des Zauns schneiden. Ihr blieben nur noch drei Zweige, da hörte sie, dass im Nachbarhaus die Tür geöffnet wurde. Ob noch Zeit war, ins Haus zu flüchten? Sie war nicht in der Stimmung, sich Ivys Getratsche auszusetzen.
»Schöner Abend, was, Sally?«, rief Ivy über die gemeinsame Mauer.
»Ja, allerdings«, rief Sadie zurück. Hin und wieder fuhr sie zusammen, wenn sie mit ihrem anderen Namen angesprochen wurde. Aber wenn sie sich mittlerweile nicht daran gewöhnt hatte, würde sie es wohl niemals tun. »Wie sieht’s aus?«
»Hervorragend, danke«, sagte Ivy. »Sie sind immer noch Strohwitwe, oder? Ich hab Ihren Mann seit Wochen nicht gesehen, ist bei Ihnen alles in Ordnung?«
»Alles bestens,
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